Der Buick: Roman (German Edition)
hängen ließen wie Seejungfrauenhaar (es steckte wirklich ein Dichter in dem Jungen, ein veritabler Dylan Thomas). Doch auch dort am Fluss war von dem Buickfahrer nichts zu sehen. Dort lagen nur ein paar alte Traktorachsen und weiterer Schrott wie rostige Gebeine im Gestrüpp.
Der Fluss rauschte laut, floss breit und schäumend dahin. Er war natürlich nur vorübergehend angeschwollen – Hochwasser gibt es im westlichen Pennsylvania normalerweise nur im Frühjahr –, aber der sonst so ruhige Redfern war an diesem Tag regelrecht ein reißender Strom.
Als Bradley Roach sah, wie hoch das Wasser stand, kam ihm ein entsetzlicher Gedanke. Er sah, wie steil der Hang hinab zum Wasser war. Das Gras war noch feucht vom Regen und wahrscheinlich verdammt rutschig, vor allem, wenn ein nichts ahnender BD auf glatten Ledersohlen anscharwenzelt kam. Als er sich das durch den Kopf gehen ließ, hatte sich diese Möglichkeit schon fast zur Gewissheit verdichtet. Anders ließ sich nicht erklären, dass das Scheißhaus nicht benutzt worden war und der Wagen immer noch vollgetankt und mit steckendem Zündschlüssel an der Zapfsäule stand. Mr. Buick Roadmaster war hintenherum gegangen, um sich den Redfern anzusehen, hatte sich dann dummerweise des besseren Blickes wegen auf den Uferhang vorgewagt … und dann: Schwupp, aus die Maus.
Bradley kämpfte sich zum Ufer hinunter, rutschte dabei trotz seiner Wanderstiefel ein paarmal weg, fiel aber nicht hin und hielt sich immer in der Nähe irgendwelcher Schrottteile, an denen er sich hätte festhalten können, hätte er den Halt verloren. Unten am Ufer war von dem Mann nichts zu sehen, aber als Brad flussabwärts schaute, sah er gut zweihundert Meter weiter etwas, was sich in einer umgestürzten Birke verfangen hatte. Es schaukelte auf und ab. Es war schwarz. Es konnte der Mantel von Mr. Buick Roadmaster sein.
» Ach, du Scheiße«, sagte er und eilte zurück ins Kassenhäuschen, um die Troop D zu rufen, die von dort aus mindestens zwei Meilen näher dran war als die örtlichen Bullen. Und so
Jetzt: Sandy
kamen wir dann ins Spiel«, sagte ich. » Shirleys Vorgänger war ein Typ namens Matt Babicki. Er gab die Meldung an Ennis Rafferty weiter …«
» Wieso an Ennis, Ned?«, fragte Shirley. » So schnell du kannst.«
» Der nächste verfügbare Wagen«, sagte er wie aus der Pistole geschossen. Aber er war nicht bei der Sache und sah sie nicht an. Er ließ mich nicht aus dem Blick.
» Ennis war damals fünfundfünfzig und freute sich schon auf seinen Ruhestand, den er dann nie genossen hat«, sagte ich.
» Und mein Vater war bei ihm, nicht wahr? Sie waren Partner.«
» Ja«, sagte ich.
Es gab noch viel mehr zu erzählen, aber erst mal musste er das hier verdauen. Ich schwieg und ließ ihn sich an den Gedanken gewöhnen, dass sein Vater und Bradley Roach, der Mann, der ihn umgebracht hatte, einander einmal von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden und wie normale Menschen miteinander gesprochen hatten. Es war Curtis gewesen, der Roach zugehört, sein Notizbuch aufgeschlagen und eine Abfolge der Ereignisse skizziert hatte. Ned kannte mittlerweile die normalen Abläufe und wusste, wie wir an neue Fälle herangingen.
Mir schwante, dass es das war, was bei dem Jungen hängen bleiben würde, ganz egal, was ich ihm noch zu erzählen hatte und wie wild und verworren diese Geschichte noch würde: die Vorstellung, wie der Totschläger und sein Opfer da beisammenstanden, keine vier Minuten Fußmarsch von der Stelle entfernt, an der sich ihre Wege zweiundzwanzig Jahre später noch einmal und dann mit einem tödlichen Knall kreuzen würden.
» Wie alt war er da?«, fragte Ned fast flüsternd. » Mein Dad – wie alt war er an dem Tag, von dem du da erzählst?«
Er hätte es sich wohl auch selbst ausrechnen können, war aber einfach zu fassungslos dazu. » Vierundzwanzig«, sagte ich. Das war nicht schwer. Bei einem kurzen Leben fällt das Rechnen leicht. » Er war seit gut einem Jahr bei uns. Es war genau wie heute noch: nur in der Nachtschicht zwei Trooper pro Wagen, einzige Ausnahme: Polizeischüler. Und dein Dad war noch Polizeischüler. Deshalb fuhr er tagsüber bei Ennis mit.«
» Ned? Geht’s dir nicht gut?«, fragte Shirley. Die Frage war berechtigt. Der Junge war kreidebleich geworden.
» Doch, Ma’am«, sagte er. Er sah erst sie an, dann Arky und dann Phil Candleton. Und alle drei mit dem gleichen Blick: ebenso verblüfft wie vorwurfsvoll. » Was wusstet ihr davon?«
»
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