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Der Buick: Roman (German Edition)

Der Buick: Roman (German Edition)

Titel: Der Buick: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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die Zeit heilt alle Wunden, aber es ist jetzt fast ein Jahr her, und immer noch habe ich diesen Traum.«
    Ich nickte. Ich dachte an Ten-Pound, meinen Hund, den ein Jäger erschossen hatte, und wie er da unter einem weißen Himmel in einer Blutlache lag und steif wurde, als ich ihn fand. Ein weißer Himmel, der einen schneereichen Winter verhieß. In meinem Traum lag da jedes Mal, wenn ich nah genug kam, ein anderer Hund, nicht Ten-Pound, und jedes Mal empfand ich wieder diese Erleichterung. Zumindest bis ich dann erwachte. Und als ich so an Ten-Pound dachte, dachte ich für einen Moment auch an unser ehemaliges Kasernenmaskottchen. Mister Dillon hatte er geheißen, nach dem Sheriff aus der Fernsehserie, den James Arness gespielt hat. Ein guter Hund.
    » Das Gefühl kenne ich, Ned.«
    » Ja?« Er sah mich hoffnungsvoll an.
    » Ja. Und glaub mir: Das wird mit der Zeit besser. Aber er war dein Vater, kein Schulfreund oder Nachbar. Nächstes Jahr um diese Zeit wirst du vielleicht immer noch davon träumen. Vielleicht wird dieser Traum auch in zehn Jahren noch ab und zu wiederkommen.«
    » Das ist ja entsetzlich.«
    » Nein«, sagte ich. » Das ist die Erinnerung.«
    » Wenn es wenigstens einen Grund gehabt hätte.« Er sah mich ernst an. » Irgendeinen Grund. Verstehst du?«
    » Natürlich.«
    » Gibt es da irgendeinen Grund?«
    Ich überlegte, ihm sagen, dass ich mich mit Gründen nicht auskannte, nur mit Verkettungen von Ereignissen und damit, wie sie sich Glied um Glied aus dem Nichts bildeten und sich in die Welt verwoben. Manchmal kann man so eine Verkettung packen und sich daran aus der Dunkelheit ziehen, aber meistens verfängt man sich eher darin. Wenn man Glück hat, bleibt man nur darin hängen. Und wenn man Pech hat, erdrosselt man sich.
    Ich ertappte mich dabei, dass ich wieder über den Parkplatz zum Schuppen B sah. Und ich dachte, wenn ich mich an das gewöhnen konnte, was dort in der Dunkelheit stand, konnte sich Ned Wilcox auch an ein Leben ohne Vater gewöhnen. Schließlich kann man sich an fast alles gewöhnen. Das ist das Beste am Leben, schätze ich mal. Und es ist natürlich auch das Entsetzliche daran.
    » Sandy? Gibt es einen? Was glaubst du?«
    » Ich glaube, dass du da den Falschen fragst. Ich verstehe was von Polizeiarbeit und von Hoffnung und davon, für die GZR was auf die hohe Kante zu legen.«
    Er grinste. Bei der Troop D sprachen alle ganz ernsthaft über die GZR , als wäre das irgendeine spezielle Polizeieinheit. In Wirklichkeit stand es für die » goldenen Zeiten des Ruhestands«. Ich glaube, Huddie Royer hat sich das mit den GZR einfallen lassen.
    » Und ich verstehe etwas davon, Beweisketten intakt zu erhalten, damit einem kein neunmalkluger Verteidiger vor Gericht die Beine wegtreten kann und man dasteht wie ein Vollidiot. Aber davon mal abgesehen, bin ich auch bloß ein verwirrter Amerikaner.«
    » Wenigstens bist du ehrlich«, sagte er.
    Aber war ich das denn? Oder wich ich einfach nur dieser verdammten Frage aus? Ich kam mir in diesem Moment nicht besonders ehrlich vor. Ich kam mir vor wie jemand, der nicht schwimmen kann und einen Jungen sieht, der sich in tiefem Wasser abstrampelt. Und wieder fiel mein Blick auf den Schuppen B. Ist es kalt hier drin?, hatte der Vater dieses Jungen damals, vor langer Zeit, gefragt. Ist es kalt hier drin, oder bilde ich mir das nur ein?
    Nein, das hatte er sich nicht nur eingebildet.
    » Woran denkst du, Sandy?«
    » Ach, an nichts Besonderes«, sagte ich. » Was machst du denn diesen Sommer?«
    » Hm?«
    » Was machst du diesen Sommer?« Golf spielen in Maine oder Boot fahren auf dem Lake Tahoe kam nicht infrage, das war mal klar. Auch mit dem Stipendium würde Ned fürs College so viel Patte brauchen, wie er nur kriegen konnte.
    » Wieder Grünanlagen und Sportstätten, schätze ich«, sagte er mit deutlichem Mangel an Begeisterung. » Da hab ich letzten Sommer auch gejobbt, bis … na, du weißt schon.«
    Bis sein Dad … Ich nickte.
    » Tom McClannahan hat mir letzte Woche geschrieben, dass er mir eine Stelle freihält. Er meinte was von Little League trainieren, aber damit will er mich bloß ködern. Hauptsächlich werd ich einen Spaten schwingen und Rasensprenger installieren, genau wie letztes Jahr. Ich schaufle gern und hab nichts dagegen, mir die Hände schmutzig zu machen, aber Tom …« Statt es auszusprechen, zuckte er mit den Achseln.
    Ich wusste, was Ned da lieber nicht aussprach. Es gibt zwei Arten noch arbeitsfähiger Alkoholiker:

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