Der Buick: Roman (German Edition)
dünn und bestürzt.
Curt achtete nicht darauf. Er öffnete den Unterleib des Wesens und führte dann, wie bei der Obduktion eines Menschen, Y-förmige Schnitte hin zu den Achselhöhlen aus. Dann zog er mit den Zangen die Haut über der Brust beiseite und entblößte dabei eine schwammige, dunkelgrüne Masse hinter einem schmalen, gebogenen Knochen. Sandy hatte so etwas noch nie gesehen.
» Herrgott noch mal, wo ist denn die Lunge? «, fragte Tony. Sandy hörte ihn hinter seiner Maske hektisch rasselnd atmen.
» Das Grüne da könnte die Lunge sein«, sagte Curt.
» Sieht eher aus wie …«
» Wie ein Gehirn, ja, ich weiß. Ein grünes Gehirn. Schauen wir uns das doch mal an.«
Curt drehte sein Skalpell um und klopfte mit dem Griff auf den weißen Bogen vor dem mit Rillen durchzogenen grünen Organ. » Wenn das Grüne ein Gehirn ist, dann hat es die Evolution zum Schutz mit einem Keuschheitsgürtel versehen statt mit einem Safe drumherum. Gib mir die Schere, Sandy. Die kleinere.«
Sandy reichte sie ihm und beugte sich dann wieder über den Sucher der Videokamera. Er hatte, wie angewiesen, ganz nah rangezoomt und bekam alles schön deutlich drauf.
» Ich schneide … jetzt.«
Curt schob die untere Klinge der Schere unter den gebogenen Knochen und knipste ihn so einfach durch wie eine Paketschnur. Der Knochen sprang auf wie eine Rippe, und in diesem Moment wurde die Oberfläche der grünen, schwammigen Masse in der Brust des Wesens weiß und zischte auf wie ein Autokühler. Ein eindringlicher Pfefferminz- und Nelkengeruch erfüllte die Luft. Zu dem Zischen kam auch noch ein dickflüssiges Blubbern. Es hörte sich an, als ginge jemand mit einem Strohhalm einem Milkshake auf den Grund.
» Sollen wir hier abhauen?«, fragte Tony.
» Zu spät.« Curt beugte sich über die geöffnete Brust des Wesens. Aus der schwammigen Masse rannen nun Tröpfchen einer weißlich grünen Flüssigkeit. Curt war mehr als nur fasziniert – er war gebannt. Als Sandy ihn so sah, konnte er das mit dem Mann verstehen, der sich freiwillig selbst mit Gelbfieber infiziert hatte, und auch das mit Marie Curie, die sich beim Hantieren mit radioaktivem Material Krebs geholt hatte. » Ich bin der Tod, der alles raubt, der Zerstörer der Welten«, hatte Robert Oppenheimer bei der ersten Detonation einer Atombombe in der Wüste Neumexikos gemurmelt, nur um dann, förmlich ohne Teepause dazwischen, mit der Entwicklung der Wasserstoffbombe zu beginnen. Denn diese Neugier nimmt einen gefangen, dachte Sandy. Und es ist es doch eher ein Gerücht – oder vielleicht nichts weiter als ein Märchen –, dass sie sich jemals befriedigen ließe.
» Was macht es da?«, fragte Tony. Sandy dachte, dass der Sarge, seinem Blick da über der rosafarbenen Atemmaske nach zu urteilen, die Antwort schon recht genau kannte.
» Es verwest«, sagte Curt. » Hast du das gut drauf, Sandy? Ist mein Kopf nicht im Weg?«
» Alles tipptopp«, erwiderte Sandy mit leicht erstickter Stimme. Der Geruch nach Pfefferminze und Nelke hatte erst fast erfrischend gewirkt, doch nun klebte er ihm in der Kehle wie der Geschmack von Schmieröl, und der Kohlgestank kam wieder durch. Sandy war schwummeriger denn je zumute, und jetzt fingen seine Eingeweide an zu rebellieren. » Ich würde aber nicht mehr zu lange machen, sonst ersticken wir noch hier drin.«
» Mach die Tür zur Kellertreppe auf«, sagte Curt.
» Aber du hast doch gesagt …«
» Los, mach, was er sagt«, befahl ihm Tony, und Sandy ging los. Als er wiederkam, fragte Tony Curt gerade, ob er der Meinung sei, das Durchtrennen des Knochens habe die Verwesung beschleunigt.
» Nein«, sagte Curt. » Das kam wohl eher daher, dass ich das schwammige Zeug mit der Schere berührt habe. Was da aus dem Buick kommt, scheint uns nicht besonders gut zu vertragen, was?«
Dem widersprachen weder Tony noch Sandy. Die grüne, schwammige Masse sah mittlerweile weder nach einem Gehirn noch nach einer Lunge noch nach sonst etwas aus; es war nur noch ein eiternder, verwesender Beutel in der offenen Brust des Kadavers.
Curt sah kurz zu Sandy hinüber. » Wenn das Grüne da das Gehirn war, was ist dann wohl in dem Kopf? Das lässt der Forscherseele keine Ruhe.« Und ehe einem von ihnen klar wurde, was er da tat, stieß Curt die Klinge des kürzeren Skalpells in das glasig blickende Auge des Wesens.
Ein lautes Ploppen ertönte. Das Auge fiel in sich zusammen und lief, wie eine abscheuliche Träne, in einem Stück aus der Augenhöhle.
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