Der Buick: Roman (German Edition)
Tony schrie unwillkürlich entsetzt auf. Sandy stieß einen leisen Schrei aus. Das zerstochene Auge landete auf der pelzigen Schulter des Wesens und platschte dann in den Trog. Kurz darauf zischte es auf und wurde weiß.
» Hör auf«, hörte Sandy sich sagen. » Das ist sinnlos. Wir erfahren hier gar nichts, Curtis. Es gibt da nichts zu erfahren.«
Curtis hörte ihn anscheinend nicht einmal. » Du liebe Scheiße«, murmelte er. » Ach, du liebe Scheiße.«
Dunkelrotes, faseriges Zeug quoll aus der leeren Augenhöhle. Es sah aus wie Zuckerwatte oder Glaswolle. Es quoll hervor, bildete einen amorphen Knoten, wurde dann weiß und verflüssigte sich wie zuvor schon das grüne Zeug.
» Hat das noch gelebt?«, fragte Tony. » Hat das noch gelebt, als du …«
» Nein, das war nur der Druckabfall«, sagte Curt. » Da bin ich mir sicher. Das Zeug ist nicht lebendiger als Rasierschaum aus der Dose. Hast du alles draufgekriegt, Sandy?«
» O ja. Was auch immer das soll.«
» Gut. Schauen wir uns noch den Bauch an, und dann sind wir fertig.«
Nach dem, was dann geschah, war für mindestens einen Monat an guten Schlaf nicht mehr zu denken. Sandy döste immer nur kurz ein, um dann gleich wieder nach Luft schnappend zu erwachen, mit dem deutlichen Gefühl, dass etwas, was er nicht genau sehen konnte, auf seiner Brust hockte und ihm die Luft abdrückte.
Curt zog die Haut über dem Unterleib beiseite und bat Tony, sie festzustecken, erst links, dann rechts. Das gelang Tony auch, aber nicht ohne Schwierigkeiten; jetzt war Feinarbeit erforderlich, und beide näherten sie ihr Gesicht dem Einschnitt. So aus der Nähe musste der Gestank fürchterlich sein, dachte Sandy.
Ohne sich umzusehen, griff Curt nach einer der Tensor-Lampen und drehte sie etwas, damit der Einschnitt noch heller ausgeleuchtet wurde. Sandy sah einen verdrehten dunkelrotbraunen Strang – die Eingeweide – und dahinter einen bläulich grauen Beutel.
» Einschnitt«, murmelte Curt und fuhr mit der Klinge seines Skalpells über die unebene, pralle Oberfläche des Beutels. Der platzte auf, und schwarze Jauche spritzte Curt ins Gesicht, färbte seine Wangen und klatschte auf seine Atemmaske. Schwarze Jauche spritzte auch auf Tonys Handschuhe. Die beiden Männer zuckten schreiend zurück, während Sandy erstarrt hinter der Videokamera stand und ihm die Kinnlade herunterklappte. Aus dem schnell abschwellenden Beutel quoll eine Flut grober schwarzer Kügelchen, die jeweils in eine graue Membran gehüllt waren. Für Sandy sahen sie wie Fliegenkadaver aus, die in Spinnweben eingesponnen waren. Dann sah er, dass jedes dieser Kügelchen ein glasig blickendes Auge hatte und dass alle diese Augen ihn anzustarren schienen, und da verlor er die Nerven. Schreiend wich er von der Kamera zurück. Auf das Schreien folgte ein Würgen. Einen Moment später kotzte er sich das Hemd voll. Später konnte sich Sandy kaum daran erinnern; die fünf Minuten nach Curts letztem Einschnitt waren fast vollständig aus seinem Gedächtnis gelöscht, und dafür war er sehr dankbar.
Das Erste, woran er sich nach diesem Filmriss wieder erinnerte, war Tony, der sagte: » Geht wieder rauf, hört ihr? Wir haben hier unten alles im Griff.« Und nah an seinem linken Ohr flüsterte Curt eine weitere Version davon und versicherte Sandy, es sei alles in Ordnung, immer schön flockig, alles in Butter.
Alles in Butter: Das lockte Sandy zurück aus seinem kurzen Urlaub im Land der Hysterie. Doch wenn alles in Butter war, wieso atmete Curt dann so schnell? Und wieso war seine Hand auf Sandys Arm so kalt? Auch durch den Gummihandschuh hindurch (den Curt immer noch nicht ausgezogen hatte) konnte Sandy das spüren.
» Ich hab mich übergeben«, sagte Sandy und spürte, wie ihm die Röte in die Wangen stieg. Er konnte sich nicht erinnern, sich jemals so beschämt und entmutigt gefühlt zu haben. » Mein Gott, ich hab mich ja richtig vollgekotzt.«
» Ja«, sagte Curt. » Du hast gereihert wie ein Weltmeister. Aber das macht nichts.«
Sandy atmete tief durch und verzog dann das Gesicht, als sich sein Magen zusammenkrampfte und er sich fast noch einmal übergeben hätte. Sie standen im Flur, doch auch hier draußen war der Kohlgestank noch sehr penetrant. In diesem Moment wurde ihm klar, wo genau im Flur sie standen – vor dem Krimskramsschrank, aus dem er das Verlängerungskabel geholt hatte. Die Schranktür stand offen. Sandy konnte sich zwar nicht daran erinnern, vermutete aber, dass er aus dem
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