Der Bund der Drachenlanze - 07 Michael Williams
Von den wandernden
Monden verführt waren sie fernab von jedem Meer gelandet. Ihre Federn waren zerzaust und die Flügelspitzen vereist.
Als Resultat der unsteten Anziehungskraft von Solinari
war der Vingaard erst angeschwollen, dann abgeebbt und
dann wieder so sehr angeschwollen, daß er schon die alten
Flutdeiche zu übertreten drohte, die Sturms Vorfahren, die
Blitzklinges und di Caelas, vor über hundert Jahren errichtet hatten. Pflanzen, die im Mondlicht wuchsen, wie die
Mondblume und Immergrün, überwucherten die Turmgärten und die Ziersträucher, und draußen auf den Feldern
brachen zur Überraschung der meisten Gärtner und zum
Ärger der meisten Kinder Spargel und Rhabarber und die
scharf schmeckenden Wintergemüse frühzeitig durch den
Boden.
Die stärkste Veränderung gab es jedoch in sowieso schon
fragwürdigeren Bereichen. Denn die Magie richtete sich
natürlich nach den Mondphasen, und die eigenartigen, verrückten Vorgänge am Himmel brachten die magischen
Verhältnisse dieser Gegend so sehr durcheinander, daß nur
noch die allermächtigsten Wahrsagungen funktionierten.
Wind und Wetter waren so wechselhaft wie die Monde,
und flackernde Lichter übersäten die Flügel des Habbakuk.
Bei Fürst Stephan sprachen zahlreiche Zauberer vor, denen
Würste, Laternen oder Schuhe am Gesicht oder an versteckteren Teilen ihres Körpers klebten, denn bei den ständigen Fehden zwischen Zauberern konnte man ebensoleicht den kürzeren ziehen wie gewinnen.
Fürst Stephan hatte angesichts der Beschwerden der
Zauberer die Stirn gerunzelt und sich große Mühe gegeben,
mitleidig und zornig zu wirken, obwohl er am liebsten laut
losgelacht hätte. Angesichts eines rotgewandeten Zauberers, aus dessen Ohren ständig lautstark Weintrauben
wuchsen, hatte er schließlich gemeint, daß er im Herbst
zumindest Wein machen könnte.
Doch die Veränderungen bei dem jungen Sturm waren
weniger komisch. Mit seiner Verbissenheit und seinem
Hin- und Herlaufen auf den Zinnen strapazierte er selbst
die Geduld der anständigsten, eifrigsten Ritter. Seine langen Nachmittage in der Kammer des Paladin ließen alle
möglichen Spekulationen aufkommen.
»Der betet zweifellos um die Wiederkehr der Umwälzung«, hatte Fürst Alfred diesen Morgen auf der Treppe
Fürst Stephan zugeflüstert. »Es wäre ganz nach seinem Geschmack, wenn sich die Erde auftun und ihn verschlingen
würde. Er würde es noch begrüßen.«
»Aber Alfred«, hatte der ältere Ritter gemahnt, dessen
beruhigender Tonfall jedoch wenig überzeugend klang.
»Wenn du dich nicht um seines verschollenen Vaters willen
um Nachsicht bemühen kannst, dann denk wenigstens an
seine Last. Wir sollten die Verbitterung ihm gegenüber ablegen und dem Jungen bei seinen letzten Vorbereitungen
helfen.«
Im Vingaard-Gebirge nahte der Frühling, und trotz der
Wanderungen der Monde und der Verwirrung der Vögel,
Pflanzen und Magier vergingen die Tage. Auch wenn man
es nunmehr auf dem Kalender ablesen konnte, der Frühling
und damit der Zeitpunkt für den Aufbruch des Jungen
kamen unaufhaltsam näher.Sturm war allein in seinem
Zimmer. Der Abend brach gerade an. Er hatte den Vormittag und Nachmittag im mittleren Burghof verbracht, wo
Fürst Gunthar ihn rauh in die Feinheiten des Schwertkampfs eingeführt hatte. Immer noch keuchend vor Anstrengung entfernte Sturm die schweren Schienen von seinen Armen und zuckte zusammen, als Metall und Polsterung über die Blutergüsse streiften, die er sich bei dem Fall
in den Flügeln zugezogen hatte. Es waren aber auch Spuren von jüngeren Kämpfen dabei, die vom Duelltraining
und der Begeisterung seines Lehrers, Fürst Gunthar, herrührten. Es waren stumpfe Waffen gewesen, aber Gunthar
war stark, und seine Schläge trafen genau, egal wie Sturm
sich vorsah.
Sturm stöhnte und warf die Armschienen auf den Boden.
Nachdem er sich auf seinem Bett ausgestreckt hatte, starrte
er an die Decke. Sein Gesicht war rot vor Anstrengung und
Scham. Anstrengung, weil Fürst Gunthar ihn hart drangenommen hatte. Scham, weil der Ältere das mit Leichtigkeit
geschafft hatte, fast mühelos, während er ihm noch mit ruhiger Stimme Anweisungen erteilte.
»Hoch den Schild, Sturm!« hatte Gunthar geschimpft.
»Du schlurfst und keuchst wie Fürst Raphael!«
Sturm war zusammengezuckt. Fürst Raphael war hundertunddrei und plapperte immer senil von der Umwälzung, an die er sich nun wirklich nicht erinnern konnte.
Langsam hatten Lehrer und Schüler sich
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