Der Bund der Drachenlanze - 07 Michael Williams
Sturm fest.
Bonifaz nickte.
»Tück griff Agion an, der kehrtmachte, losrannte und
sich durch einen dichten Ewigkeitsbaum hindurch in Sicherheit brachte, doch der aufgebrachte Keiler blieb ihm
dicht auf den Fersen. Gleichzeitig schlug dein Großvater
einen Bogen um das Tier und wartete auf die Gelegenheit,
ihm den Todesstoß zu versetzen.
Diese Gelegenheit kam nicht, weil Angriff ungeduldig
war.
Er hetzte den alten Tück durch das Unterholz, und im
Dickicht verlor ich ihn immer wieder aus den Augen.
Schließlich hörte ich es rascheln und husten und stolperte
um ein dickes Zweiggeflecht herum… und stand dem alten
Keiler selbst gegenüber.«
Bonifaz machte eine Pause. Er stand auf und begann,
durch den Raum zu schreiten, während Sturm atemlos
lauschte.
»Er war so zottig wie der Bison von Kiri-Jolith, triefte vor
Schweiß und Schlamm und war halb in Nebel und Ewigkeitsbaumgrün versteckt. Er sah aus, als stamme er aus einer Legende, aus dem Zeitalter der Träume und den Liedern der Barden. Ich weiß noch, wie ich vor seinem Angriff
gedacht habe, wenn die Natur selbst Gestalt annehmen
müßte, dann als dieses Untier da vor mir, mit seiner
schrecklichen Wildheit und der merkwürdigen, grausigen
Gleichgültigkeit.«
Wieder machte der Ritter eine Pause, in der er mit geballten Fäusten durch die Luft fuhr, als wollte er etwas umklammern oder wegstoßen.
»Er… hat Euch angegriffen, Fürst Bonifaz?« fragte Sturm
schließlich. »Der große Keiler hat Euch angegriffen?«
Bonifaz nickte. »Ich hatte sofort mein Schwert parat. Aber ich kam nicht mehr dazu, es zu benutzen.«
Ein eigenartiger Schatten verdüsterte das Gesicht des Ritters. Sturm wartete gespannt, denn der Mann erinnerte sich
offenbar deutlich an jenen Moment, in dem der furchtbare
Keiler angriff.
»Ich kam nicht mehr dazu«, wiederholte Bonifaz. »Angriffs Speer fuhr Tück sauber zwischen die Schulterblätter,
und der Keiler taumelte, richtete sich wieder auf und taumelte wieder. Glaub mir, beim zweiten Taumeln war ich
längst aus dem Weg, aber ich sah, was jetzt geschah – wie
dein Großvater und Agion auf die Lichtung stürmten und
Fürst Emelins Schwert silbern in der Wintersonne aufblitzte, als er es hochriß und das Tier erschlug.
Eine Zeitlang standen wir alle neben dem Keiler. Die Alans bellten irgendwo draußen vor den Bäumen, doch das
schien so weit entfernt, als würden wir uns bloß an sie erinnern.
Dann sagte Fürst Agion: ›Ein passendes Ende für unseren Gegner Fürst Tück, dessen Kopf den Saal von Fürst
Emelin Blitzklinge zieren soll, der ihn erlegt hat.‹
Dein Großvater lächelte und nickte, aber dein Vater
stand blaß und totenstill da, und in diesem Moment wußte
ich, daß etwas zwischen den beiden zerbrochen war, was
vielleicht nie mehr gutzumachen war. ›Aber, Fürst Agion‹,
widersprach Angriff, der so unüberlegt und stürmisch zur
Sache kam wie bei jeder Jagd, bei jedem Turnier. ›Ich erwarte doch, daß beim Erzählen hervorgehoben wird, daß
ich den ersten und ausschlaggebenden Speer geworfen habe.‹
›Unsinn‹, widersprach Fürst Emelin. ›Mein Schwert hat
den Keiler getroffen, und er war tot. Mehr gibt es dazu
nicht zu sagen.‹
Es gab wirklich nicht mehr dazu zu sagen. Aber ich
konnte sehen, wie Angriff es dennoch sagen wollte. Er fing
an, zu widersprechen und seine Ehre zu verteidigen. Aber
Fürst Emelin wollte nichts mehr davon hören.«
Fürst Bonifaz machte eine Pause und blickte den Jungen
an. Sturm starrte mit geballten Fäusten zurück. Wie ungerecht von Fürst Emelin, dachte Sturm wütend. Das verstößt doch völlig gegen Kodex und Maßstab!
»Nicht ganz, Sturm Feuerklinge«, korrigierte Fürst Bonifaz, als ob er die Gedanken des Jüngeren lesen könnte. »Die
Regeln der Jagd sind einfach, so einfach, wie Fürst Emelin
sie an jenem Morgen in den Flügeln des Habbakuk ausgelegt hat. Aber Angriff sprühte vor Wut. Er spürte, daß etwas daran über Regel und Protokoll hinausging, aber Regel
und Protokoll verlangten, daß über den Rest zu schweigen
war. Er zog seinen Speer heraus…«
Bonifaz hielt inne und schüttelte etwas traurig den Kopf.
»Und ich steckte mein Schwert weg, damit wir aufsitzen
konnten. Ich sah zu«, fuhr er fort, »wie mein Freund den
ganzen Ritt von den Verkhus-Hügeln bis nach Schloß Feuerklinge schäumte. Er war so stumm wie ein Schaf unterm
Scherer und sagte den ganzen Nachmittag kein Wort mehr.
Denn schließlich verstieß es mehr gegen Kodex
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