Der Bund der Drachenlanze - 07 Michael Williams
weise in den Tiefen der Nacht. Aber ihr befolgt ihn freudlos. Das zeigt selbst dieses Fest.«
»Wer bist du, Fremder, daß du uns über unsere Freuden
und Feste belehrst?« brauste Fürst Alfred auf. »Ein Ding
aus Blättern, Fetzen und Lumpen, das von dem Stuhl für
Huma spricht?«
Gunthar und Stephans Mienen gaben im unsteten Licht
keinen ihrer Gedanken preis. Auf einmal trat Fürst Alfred
um seinen Tisch herum, zeigte auf den grünen Mann und
redete in dem Ton zu ihm, der normalerweise Pferden,
Handlangern und unwissenden oder unbelehrbaren Knappen vorbehalten war.
»Wer bist du, daß du unsere Bräuche in Frage stellst, die
tausend Jahre, die wir auf unsere Träume warten? Du – du wandelnder, trötender Salat !«
»Alter!« gab Vertumnus zurück, der mit einem Satz kurz
vor dem Hofrichter gelandet war. »Du leerer, vergoldeter
Brustharnisch! Du hirnloser Helm, du schlaffe Fahne! Du
Maske von Gesetz, du Mangel an Gerechtigkeit! Du Zählstab! Du sturer Esel, der seine Nase in Briefe steckt und auf
einer toten Ebene nach Ehre sucht! Wenn dich ein prophetischer Wind erfaßte, so hieltest du ihn für das Furzen deiner
Brüder!«
Sturm schüttelte den Kopf. Diese merkwürdigen Beschimpfungen waren zu verdreht, fast schon kindisch, als
fände hier ein Bardenduell statt, oder, schlimmer noch, zeterten die Vögel auf den Dächern. Fürst Alfred Merkenin
war der Hofrichter des solamnischen Ordens, dem man
sich respektvoll, ehrerbietig und pflichtschuldigst zu nähern hatte, aber der grüne Mann ließ Worte auf ihn herabregnen, daß der Hofrichter nur noch sprachlos dastand, ins
Wanken geriet und verstummte.
Rings um Sturm hüstelten seine Kameraden und blickten
betreten zur Decke. Für eine Bande Jungs, die gern die
Kräfte maßen, waren auch sie merkwürdig still. Gelegentlich brach ein vorsichtiger Lacher aus den Schatten, aber
kein Knappe wagte es, die anderen anzusehen, und keiner
wagte ein Wort.
Jetzt trat Fürst Stephan vor, dessen Augen mit einem Mal
amüsiert aufblitzten. Sturm runzelte die Stirn, denn der alte
Mann war schon selbst ein halber Wilder, wenn er die jungen Ritter aufzog, weil sie sich so streng an den Eid hielten,
und wenn er über die endlosen Spitzfindigkeiten des Maßstabs lachte, wo selbst für den jüngsten Solamnier Sprache
und Tischmanieren verewigt waren.
Es war eine Folge der Kopfwunde, die er vor sechzig Jahren in einem finsteren Paß von Neraka erlitten hatte. Seit
damals war er anders und oft respektlos. Er schien diesen
schrillen Wortwechsel zu genießen, und Sturm stellte mit
wachsender Beklemmung fest, daß der alte Mann sich
räusperte.
»Was willst du von uns, Herr der Wildnis?« fragte der
Alte, dessen Stimme trotz seiner fünfundachtzig Jahre noch
laut und fest klang. »Was willst du von uns, wenn wir
Heuchler und maskenhafte Gesetzeshüter sind? Ich sehe
weder Witwen noch Waisen bei dir. Was hast du für die
Armen, die Ausgestoßenen und die Unglücklichen getan?«
»Ich habe dich dazu gebracht, diese Frage zu stellen«,
erwiderte Vertumnus mit schlauem Lächeln. »Du bist ein
alter Fuchs, Stephan, mit mehr Weisheit gesegnet als der
Rest dieser hier versammelten Hohlköpfe. Und doch läuft
der alte Fuchs in seinen eigenen Fußstapfen zurück, folgt
seiner eigenen Fährte, bis er den Wald umkreist und im
Nichts verschwindet.«
»Bilder statt Taten, Herr der Wildnis?« fragte Stephan,
dessen weißer Bart sich wie Nebel hob, als er sich ächzend
und mit knackenden Knien direkt vor dem grünen Mann
aufbaute, der weder mit der Wimper zuckte noch zurückwich.
»Was ich für Waisenkinder tue, geht euch nichts an«,
antwortete Vertumnus ruhig, »denn das ändert nichts an
den zerfallenen Ländereien von Solamnia, den verlassenen
Dörfern, den Bränden, den Hungersnöten und den neuen,
unbekannten Drachen. Kein Waisenkind hier würde mich in Frage stellen. Nein, es würde in meine Klage einstimmen.«
Er machte eine Pause, in der seine dunklen Augen den
Raum absuchten.
»Das heißt, falls eines hier wäre.«
Du irrst dich, Herr der Wildnis, dachte Sturm, dem es in
den Füßen juckte vorzutreten.
Aber nein. »Waisenkinder«, hatte er gesagt.
»Außerdem«, fuhr Vertumnus fort, »ich habe nicht geschworen, sie zu beschützen.«
Eine Fackel flackerte spuckend in dem Halter neben
Sturm Feuerklinge auf, während Vertumnus wieder die
Flöte an die Lippen setzte.
Seine Melodie schwebte traurig und gespenstisch durch
den Saal, und Sturm vermeinte, darin
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