Der Bund der Drachenlanze - 07 Michael Williams
etwas von Herbst
und Sterben und einer Zeit zu hören, die unmöglich vergangen sein konnte. Es war eine dünne, melancholische
Musik, und die toten Blätter trieben wie Geister in Gelb,
Schwarz und grellem Rot durch die Halle, als würden sie
vor einem Zauberer flüchten.
Er ist ein Zauberer, dachte Sturm. Er redet doppeldeutig
und in Rätseln. Hör ihm nicht zu. Hör nicht zu.
Vertumnus trat noch einen Schritt vor. Er stand unmittelbar vor dem alten solamnischen Fürsten, und ihre Blicke
trafen sich ohne Zorn, und sie wechselten ihre Worte so
leise, daß selbst Fürst Alfred, der keine zwei Schritte von
Fürst Stephan entfernt war, später schwor, er hätte nicht
verstanden, was sie sagten. Dann wich der grüne Mann ein
wenig zurück und lachte, und aus Fürst Stephan Peres
sproß unvermittelt Blattwerk.
Schößlinge, Ranken und Zweige schmückten die Rüstung des alten Mannes, Blätter drangen durch seinen Bart,
und Ranken verstrickten sich mit seinen Fingern. Vertumnus trat in die Mitte des Saals zurück und spielte wieder
auf seiner Flöte, diesmal eine fröhliche Sommerweise, woraufhin der elegante, alte Herr, der lange Jahre als Haushofmeister den fehlenden Oberkleriker ersetzt hatte, jetzt
lieblich in hundert blauen Blümchen erblühte und ein
Schwarm gelber Schmetterlinge aus dem Nichts von den
winterlichen Dachsparren heruntersank und sich auf Fürst
Stephan Peres niederließ.
»Das reicht!« rief Fürst Gunthar aus und trat mit erhobenen Fäusten vor, doch die Beine seines Tisches schlugen
ebenfalls aus, und knorrige Wurzeln schlängelten sich vor,
wickelten sich um seine Knöchel und hielten ihn auf seinem Weg zur Saalmitte auf. Stephan machte ein Zeichen,
aber dessen Bedeutung ging zwischen den Blumen verloren. Vertumnus wich dem angreifenden solamnischen
Fürsten gewandt aus, als Gunthar gegen einen Tisch rannte, an dem die Brüder Jeoffrey saßen. Gläser, Geschirr und
die Jeoffreys stoben nach allen Seiten auseinander. Der junge Jack, der offenbar auf der Suche nach den besseren Resten des Banketts unter den Tisch gekrochen war, brachte
sich eilig in Sicherheit, als der Tisch zusammenbrach und
dann im Boden Wurzeln zu schlagen begann. Aus den
dunklen Brettern drangen Knospen und Äste hervor.
Jemand stieß Sturm zur Seite. »Für Eid und Maßstab!«
rief Fürst Bonifaz und stürmte hastig in die Mitte des Saals.
Sein Schwert war erhoben, der Schild bereit, die kalten,
blauen Augen so hell wie gehärteter Stahl, denn ein Kampf
stand bevor. Vertumnus fuhr herum, machte in Richtung
des Ritters eine Handbewegung und wandte sich dann
dem Jeoffreybruder zu, der gerade heranstürmte. Bonifaz
fiel der Länge nach auf den Steinboden, da seine Hose
merkwürdigerweise über die Knöchel heruntergerutscht
war.
Der Jeoffrey überlegte es sich noch einmal und wurde
plötzlich ohnmächtig, woraufhin Vertumnus auf einen anderen Tisch sprang, um dem Griff des zweiten Jeoffrey
auszuweichen, der sich unvermittelt wie ein junger Baum
am Boden angewachsen fand. Der junge Ritter schrie auf,
und dann senkte sich eine beredte Stille über den Saal, in
dem ein Dutzend Männer zum Angriff bereit waren, während ihr einziger Gegner auf einem Bein auf dem Tisch
herumhüpfte und die Flöte abermals zum Spiel erhob.
Das ist unwürdig, dachte Sturm. In höchstem Maße und
absolut unwürdig. Er bemerkte Dereks Blick; dennoch trat
Sturm vor, ohne überhaupt zu überlegen, was er da tat,
und zog sein Kurzschwert. Bis auf das Schwert des gründlich blamierten Bonifaz war es die einzige blanke Klinge im
Saal. Es hatte noch nie Blut vergossen.
Vertumnus wirbelte zu dem Jungen herum und hörte
dann auf zu tanzen. Ein trauriger Schatten überzog sein
Gesicht, und er nickte. Wie aus widerstrebender Übereinkunft kam er herunter, steckte seine Flöte weg, zog sein
eigenes, riesiges Schwert und trat in die Mitte des großen
Saals. Die Ritter von Solamnia standen hilflos angewachsen
mitten im grünen Dickicht zerbrochener Tische. Sie spähten
durch die Blätter und Schatten und sahen, wie die beiden
Schwertkämpfer einander umkreisten, der grüne Mann
und der grüne Junge.
Sturm wußte augenblicklich und zu spät, daß er unterlegen war. Vertumnus hatte die gedankenlose Anmut eines
perfekten Schwertkämpfers, und in seiner Hand wurde die
Klinge lebendig. Er redete auf Sturm ein, als sie einander
umkreisten, und seine Worte waren so sanft und eindringlich wie der Wind. Er ließ den Jungen nicht aus
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