Der Bund der Drachenlanze - 12 Tina Daniell
Partner konnte er sich nicht mehr richtig verlassen.
Der Nachtmeister bückte sich und ließ graue Vulkanasche durch seine Finger rieseln. Er war von einer eingeäscherten Stadt umgeben, deren Treppen nirgendwo hinführten, deren Säulen nichts mehr trugen. Ein langer Tisch
und ein Stuhl standen am flackernden Feuer. Ein Regal
enthielt Bücher, aber auch Becher mit Spruchingredienzien.
Das Zimmer war eher eine Ansammlung von Möbeln als
ein Zimmer, denn es hatte weder Wände noch Türen noch
eine Decke. Es lag offen unter dem schwarzen, abweisenden Himmel in der Mitte der Ruinen.
Dieser Teil der alten Stadt war einst der Eingang zur
großen Bibliothek gewesen. Jetzt war es nichts als kaltes,
vulkanisches Gestein.
Der Nachtwind zog durch die Federn und Glöckchen des
Nachtmeisters. Er warf einen Blick auf die Menschenfrau in
ihrem Holzverschlag. Obwohl Kitiara tagelang nichts gegessen hatte, war sie voller Energie und lief ruhelos in ihrem Gefängnis umher.
Der Nachtmeister sah zu seinen höchsten Akolythen
hinüber, den zwei Mitgliedern der Hohen Drei, die hiergeblieben waren, als Fesz nach Mithas abgereist war. Sie
drängten sich aneinander und schliefen, nur durch eine
Decke geschützt, im Sitzen.
Minotaurensoldaten patrouillierten um das Lager herum.
Seufzend blickte der Nachtmeister zum Himmel, auf die
Monde und die Sterne.
Noch drei Tage, zwei Nächte.
Es waren nur noch wenige Stunden bis zur Morgendämmerung. Noch ein paar Stunden eisiger Kälte, bis nach
Sonnenaufgang die gnadenlose Hitze wiederkehren würde.
Der Nachtmeister machte sich Sorgen, doch er vertraute
weiter auf Sargonnas. Nachdem er sich in seinen Mantel
gewickelt hatte, legte sich der Nachtmeister auf den kalten
Boden und schlief sofort fest ein.
Kapitel 5
Die Insel Karthay
Die beschädigte Castor war dabei, aus der Bucht in die offene See einzufahren. Während er dem Schiff von der Küste
aus nachsah, zog Tanis den Sack zurecht, den er auf dem
Rücken hatte. Er enthielt ein paar Vorräte, die Kapitän Nugeter ihnen überlassen hatte. Neben ihm stand Flint, der
von einem Bein aufs andere trat, um dadurch sein verwundetes Bein möglichst zu entlasten, ohne daß es jemand bemerkte. Kirsig jedoch betrachtete den Zwerg besorgt.
Yuril und die anderen vier Matrosinnen von der Castor, die beschlossen hatten, daß der Dienst auf einem halben
Wrack nicht nach ihrem Geschmack war, zogen gerade ihre
beiden kleinen Boote den Strand hinauf. Tanis hoffte, daß
sie nicht eine unangenehme Arbeit gegen eine schlimmere
eingetauscht hatten.
Raistlin stand abseits von den anderen mit dem Rücken
zum Meer und musterte das Gelände.
Der schmale, steinige Streifen Strand ging in niedrige
Sanddünen über. Dahinter stieg das Land an und bildete
ein Labyrinth aus Schluchten und Plateaus. Soweit das Auge reichte, war die Gegend kahl und wenig einladend.
Obwohl es noch Vormittag war, brannte die Sonne heiß
und hell vom Himmel. Ein trockener Wind wirbelte den
Sand an der Küste auf. Tanis merkte, wie der Staub in seine
Kehle drang.
Eine Hand streifte den Arm des Halbelfen. Sie gehörte
Raistlin. Der junge Zauberer hatte die unangenehme Angewohnheit, sich so leise zu bewegen, daß es schwer war,
ihn im Auge zu behalten.
Raistlin schien von der aufgebrochenen, herben Landschaft wenig abgeschreckt zu sein. »Ich rechne mit zwei
Tagesreisen ins Landesinnere, bis wir die Ruinen der alten
Stadt erreichen«, sagte der Magier leise zu Tanis. »Glaubst
du, daß Flints Bein mitspielt?«
»Sein Bein ist viel besser«, erwiderte Tanis. »Der alte
Zwerg hält wahrscheinlich länger durch als wir alle.«
Beide Männer warfen einen Blick auf Kirsig, die sich um
Flint bemühte, wohl um ihm eine Salbe für sein Bein anzubieten, während der Zwerg grummelnd versuchte, sie zu
verscheuchen. Aber nicht allzu nachdrücklich, wie Tanis
feststellte. Er und Raistlin grinsten sich an.
Als Tanis sich wieder umdrehte, schwand sein Anflug
von guter Laune. »Raistlin, fragt sich nur: Was ist unser
Ziel? Du hast uns nicht gerade viel über den Spruch erzählt, der deiner Meinung nach ein Portal öffnet, um diesen
bösen Gott oder was-auch-immer in die Welt zu lassen.«
Raistlin bemerkte nicht nur die Ungeduld, sondern auch
den Hauch von Skepsis in Tanis’ Stimme. »Du hast doch
bestimmt im Land des Volks deiner Mutter etwas über die
alten Götter gelernt«, antwortete der junge Magier, obwohl
er wußte, daß jede Anspielung auf Tanis’ gemischte Herkunft den
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