Der Bund der Illusionisten 1
nicht die von Sarana und Wendia waren? Ich habe selten einen Mann gesehen, der durch den Tod seiner Tochter so gebrochen war. Dennoch kämpfte er während des Angriffs beim Schimmerfest wie ein Wirbelwind.« Sie sah mich an und erklärte es mir näher. » Ich bin dabei gewesen, verstehst du, ich war eine der wenigen, die überlebt haben. Ich habe gesehen, wie Solad an diesem Tag mehr Tyraner getötet hat als jeder andere, selbst dann noch, als er von Pfeilen durchbohrt war wie ein Braten auf einem SpieÃ. Brennende Wut hat ihn lange genug am Leben gehalten, dass er so viele töten konnte.« Sie wischte sich mit dem Handrücken Tränen vom Gesicht und wandte sich an Temellin. » Nein, diese Magoria hier kann unmöglich Sarana sein.«
» Bist du dir sicher, dass sie dann nur Shirin sein kann?« Auch diese Frage kam von Temellin. Diesmal lächelte er jedoch; seine Augen blitzten vor halb unterdrückter Freude.
» Ja, sofern die Magoria Recht hat, was ihr Alter betrifft. Und selbst, wenn sie es nicht istâ¦Â« Zerise dachte eine Weile nach. » Nein. Reneta war etwa ein Jahr jünger, und ich habe ihre Leiche selbst gesehen. Die anderen Mädchen waren kaum mehr als Säuglinge, und wir wissen genau, was mit ihnen geschehen istâ sie sind in ihren Wiegen getötet worden. Shirins Leiche dagegen ist nie gefunden worden. Und sie war die einzige Magoria, die vermisst wurde. Der Teil des Palasts, in dem sie sich aufgehalten hat, ist durch das Feuer zerstört worden; es blieb nicht mehr viel übrig. Wir dachten, sie wäre verbrannt. Es könnte tatsächlich sein, dass sie von einem tyranischen Soldaten gerettet wurde.« Sie berührte ihre Narbe und fügte bitter hinzu: » Und von denen gab es ganz gewiss mehr als genug.«
Aber Temellin streckte bereits seine Arme nach mir aus und zog mich in seine Umarmung, hielt mich vor Freude so fest, dass er mir wehtat. » Shirin⦠Shirin, meine Shirinâ erinnerst du dich nicht? Ich habe dir mein Holzslecz gegeben, als du geweint hast, nachdem ich dein Spielzeugschwert zerbrochen habe. Erinnerst du dich nicht?«
Ich schüttelte lachend den Kopf. » Temellin, lass mich wieder runter! Wer bin ich? Sag mir, wer diese Shirin ist!«
» Du bist Shirin, meine Liebe! Ich dachte, du wärst tot! Ich erinnere mich daran, wie sie es mir gesagt haben.«
Ich erhaschte über Temellins Schulter hinweg einen Blick auf Garisâ Gesicht. Und Garis war ganz und gar nicht fröhlich. Er wirkte betroffen, als würde er auf eine Katastrophe warten, von der er wusste, dass sie nicht zu vermeiden war. Ich dachte: Er begreift etwas, das Temellin nicht erkennt. Ich schob Temellin von mir weg. » Garis«, fragte ich. » Wer ist Shirin?«
Garis platzte mit der Antwort herausâ wohl wissend, wie ich mich fühlen würde, da er sich, offenbar im Gegensatz zu Temellin, erinnerte. » Shirin warâ istâ du bist⦠Temellins kleine Schwester«, sagte er. » Ihr hattet dieselben Eltern.«
Meine Welt starb unter krachendem Getöse, das in meinen Ohren dröhnte. Ich sah, wie Leute den Mund öffneten und schlossen, sah, wie sie zu mir sprachen, aber ich konnte sie nicht hören. Ich sah, wie ihre Freude sich in Verunsicherung verwandelte, als sie meinen Schock begriffen. Mein Ekelgefühl verströmte überall im Raum. Ich sah, wie Temellins Mund aufhörte zu lächeln und einen Laut des Entsetzens formte. Ich zerstörte mit meiner ungezügelten Reaktion sein Glück, mit der abwehrenden Geste meiner Hände. Ich wandte mich von ihm ab und flüchtete zu Brand, in seine Arme, klammerte mich an ihn, begrub mein Gesicht an seiner Brust. Ich konnte nichts sagen. Ich erstickte an der Galle und dem Gefühl, mich erbrechen zu müssen.
Oh, Göttin, dachte ich. Ich habe mit meinem eigenen Bruder geschlafen.
Oh, Göttin, vergib mir.
Oh, Göttin, jetzt wusste ichâ ich liebte diesen Mann. Ligea Gayed hatte ihr Herz verschenkt, ohne es zu bemerken. Der Kamerad der Bruderschaft hatte sich in den Feind verliebt.
Göttin, vergib mir. Ich habe es nicht gewusst. Mit dem eigenen Bruder geschlafen. Die angemessene Bestrafung, weil ich mich für immun gehalten hatte gegenüber Gefühlen.
Du dumme Närrin, Ligea.
Brand wusste es. Er entzog mich Temellins flehenden Händen und schob mich aus dem Zimmer, fand irgendwie seinen Weg durch das Labyrinth
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