Der Bund der Illusionisten 1
Erinnerungen an die Zeit, die wir miteinander verbracht hatten, welkten dahin wie sonnenversengte Blätter.
Ich erinnerte mich an die Art und Weise, wie Brand empfunden hatte, als er mir â für einen kurzen Moment nurâ gestattet hatte, seine Gefühle zu berühren. Er liebte mich auf die gleiche Weise wie Temellin.
Meine Gedanken machten ungebetenerweise einen Satz in eine andere Richtung. Ich erinnerte mich an die Zeit, die Temellin und ich zusammen verbracht hatten. Ich erinnerte mich an seinen Körper, seine Zärtlichkeit. An die Art und Weise, wie er lachte. Seine Intelligenz. Die Art, wie seine Stimme weicher wurde, wenn er von Dingen sprach, die er liebte. Die poetische Färbung seiner Sprache. Ich erinnerte mich daran, wie sehr ihn die Kinder der befreiten Sklaven bewundert hatten. SüÃes Elysium, dachte ich, bewahre mich davor, so ⦠so geistlos zu sein. Nur weil mich bisher noch niemand so geliebt hat, ist das noch längst kein Grund, derart auseinanderzufallen â wie eine zerbrochene Amphore, deren Inhalt sich verteilt. Ich kann nicht einfach zerbrechen, nur weil ich einen Mann attraktiv und seine Liebe schmeichelhaft finde.
» Derya?«, fragte Temellin. » Ist alles in Ordnung?« Seine Besorgnis war greifbar. Ich war mir seiner unverhüllten Emotionen nur zu bewusst.
Ich sah mich nach Pinar um. Die ältere Magoria starrte mich mit hasserfüllten Augen an, aber sie hatte ihre Gefühle fest im Griff. » Pinar wird mich töten«, sagte ich, ohne es zu wollen.
» Sei nicht dumm! Wir beide lieben einander nicht, nicht auf diese Weise. Es wäre eine Heirat aus⦠aus Freundschaft geworden. Wegen der Kinder. Sie wird sich für mich freuen.«
Ich blinzelte angesichts seiner auÃergewöhnlichen Selbsttäuschung, aber bevor ich etwas dazu sagen konnte, tauchte Korden wieder auf und sagte: » Temellin, sollten wir nicht mit dem weitermachen, was wir vorhatten? Wir wollten herausfinden, wer Derya ist; tun wir das.«
» Aber wie?«, fragte ich. » Ist es möglich, dass ichâ dass ich hier Familie habe? Dassâ¦?« Ich konnte die Worte nicht aussprechen, aber mein Geist füllte sich plötzlich mit der Erinnerung an meine Kindheit, an die Frau mit der rostbraunen Mähne, an die Frau, die in goldenes Licht getaucht und von scharlachroten Spritzern beschmutzt war. Vielleicht war ich einmal von ihr so geliebt worden. Ich spürte, wie Erinnerungen und Emotionen und Rührseligkeit mir den Atem raubten.
Göttin, Rathrox würde seinen Augen nicht trauen, wenn er mich so sehen könnte.
Temellin legte mir einen Arm um die Schultern. » Imaga Zerise«, sagte er und deutete quer durch das Zimmer auf die Frau, die meinen Cabochon mit dem Mund berührt hatte, » hat den Kinderhort des Palastes beaufsichtigt, als der Ãberfall stattgefunden hat. Sie hat alle Kinder gekannt, und daher auch dich. Sie gehört zu den wenigen Menschen, die das Massaker beim Schimmerfest überlebt haben.« Er führte mich zu ihr.
Mein erster Gedanke war, dass ich mir vor Angst vermutlich in die Windeln gemacht hatte, sollte ich wirklich einer von Zerises Schützlingen gewesen sein. Sie war vollkommen kantig: Das Gesicht, der Körper, die Hände, alles war zu spitzen Gipfeln und Graten geschärft, ohne irgendwelches weiche Fleisch. Eine Wange war von zwei tief eingegrabenen Löchern und zwei danebenliegenden geringeren Malen, die alle in einer Linie lagen, übel gezeichnet. Ihre Augen blickten scharf, konzentriert und eindringlich, und ihre Körperhaltung erinnerte an eine erhobene Axt. Sie war etwa fünfzig, nicht ganz so alt, wie ich zuerst gedacht hatte; das schüttere, eisengraue Haar und der dünne, kantige Körper täuschten.
» Zerise«, sagte Temellin. » Wer könnte Derya sein?«
Die Frau sah mich mit ihren scharfen Augen an und musterte mein Gesicht, als wollte sie dort das Abbild des Kindes finden, das ich einmal gewesen war. » Was weiÃt du über dich?«, fragte sie schlieÃlich. » Kennst du vielleicht deinen echten Namen? Es gab kein Kind, das Derya hieÃ. Alles, was du weiÃt, könnte uns helfen.«
Ihre Stimme klang weich und stand in vollkommenem Widerspruch zu ihrem Aussehen, aber die Anspannung dieses Augenblicks raubte mir den Atem: Die Wahrheit schwebte nur wenige Minuten von mir entfernt, und ich sehnte mich danach, dass sie gepflückt und
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