Der Bund der Illusionisten 1
eigenes Leben aufbaust.«
» Meine Antwort ist die gleiche wie immer. Ich bleibe, zunächst zumindest. Du brauchst einen Freund, Ligea. Derya. Shirin. Wie auch immer. Vielleicht jetzt mehr als jemals zuvor. Hast du daran gedacht, was Temellin und die anderen tun werden, wenn du ihnen erzählst, dass du die Legata Ligea Gayed bist?«
» Was wird das für eine Rolle spielen? Es ist Vergangenheit. Ich werde es ihnen erzählen, wenn der geeignete Zeitpunkt dafür gekommen ist.« Ich stählte mich. » Während der vergangenen Woche habe ich mit meinem Unterleib gedacht. Du hattest Recht, Brand: Es war Irrsinn. Aber jetzt habe ich meinen Verstand wiedergefunden. Macht, nur darum geht es. Das ist es, was mich an der Bruderschaft fasziniert hat: Sie hat mir die Macht über Leben und Tod meiner Mitbürger gegeben, sie hat mich zu jemandem gemacht, der gefürchtet wird, selbst von jenen, die Geld und eine Position und politische Macht besaÃen. Als Kamerad der Bruderschaft habe ich diese Macht benutztâ ja, und manchmal auch missbraucht, zugunsten von Tyrans.« Ãberrascht über die Wahrheit von alldem fügte ich hinzu: » Ich könnte das nicht mehr tun. Aber ich liebe die Macht nicht weniger. Sie ist, was ich bin. Und ich werde sie ausüben.« Und niemand wird mich meines Kindes wegen töten.
Ich trat wieder zum Fenster und sah hinunter auf die dunkle, gepflasterte StraÃe, ohne sie wirklich zu sehen. » Ich habe das Gefühl, als wäre ich die ganze Zeit mit einem Eimer auf dem Kopf herumgelaufen. Wieso konnte ich bisher nicht erkennen, dass es bessere Wege gibt, die Macht zu nutzen? Wieso konnte ich die Ungeheuerlichkeit der Sklaverei nicht erkennen? Die Ungerechtigkeit, die der Herrschaft des Exaltarchats innewohnt?« Die Scherben dieser vergangenen Möglichkeiten gruben Furchen aus Trauer tief in meinen Geist. » Das Exaltarchat hat viele schöne Dinge, die es den tributpflichtigen Nationen geben kann, aber der Preis ist zu hoch. Kardiastan wäre ohne Tyrans besser dran gewesen. Wir werden besser ohne Tyrans dran sein.«
» Du bist zu hart mit dir«, sagte Brand. Er trat neben mich, und die sanfte Berührung seiner Hand auf meinem Arm verriet mir mehr über seine Besorgnis, als seine verhüllten Gefühle es vermochten. » Erstens bist du von Tyranern aufgezogen worden. Du solltest diese Dinge glauben. Zweitens gab es immer einen Teil in dir, der trotzdem gegen die Ungerechtigkeiten gekämpft hat. Du hast deine Macht benutzt, um sicherzustellen, dass es keine Ungerechtigkeit gab. Dass die Unschuldigen freikamen. Dass keine Folter angewandt wurde.«
» Ich kann mich nicht so leicht von der Schuld freisprechen. Du bist zu groÃherzig, mein Freund.«
» Ich glaube nicht, dass ich das bin«, sagte er, und die Entschiedenheit, mit der er das sagte, war tröstlich. » Also, was jetzt, Magoria?«
Ich holte tief Luft. » Ich bin die Schwester des Illusionisten und die Mutter des Erben. Pinar kann seine Frau und Gemahlin sein, aber ich werde die gröÃere Macht haben. Vielleicht werde ich sie dieses Mal besser nutzen. Wir werden aus diesem gottverlassenen Land etwas machen.« Ich richtete mich auf und wandte mich zu ihm um. » Ich bin bereit, Temellin zu sehen.«
Er schüttelte den Kopf. Zögerliche Bewunderung mischte sich in seine Betroffenheit. » Ich hätte es wissen müssen. Du bist so stark wie ein Fels, Ligea.«
Ich stand immer noch am Fenster, als Temellin eintrat, und ich fühlte mich gar nicht stark wie ein Fels. Ich fühlte mich leer, eine zerbrechliche äuÃere Hülle, die durch ein falsches Wort zerschmettert werden konnte, oder durch eine falsche Berührung.
Er trat ein und ging auf mich zu.
» Fass mich nicht an, Temellin«, sagte ich. » Nie wieder.«
Er blieb stehen; sein Körper wurde starr. » Dery⦠Shirin, sieh es nicht als etwas Falsches an. Wie könnte etwas so Wunderschönes falsch sein?«
» Damals war es nicht falsch. Jetzt ist es das. Es tut mir leid, Temellin, aber es ist vorbei. Ich kann nicht mit meinem Bruder schlafen, und ich werde auch niemals dazu in der Lage sein. Was immer ich an Verlangen nach dir empfunden habe, ist verschwunden.« Lügnerin. Möge der Vortex dich holen, Ligea, selbst jetzt fühlst du die Sehnsucht in deinem Bauch â und zugleich würde sich bei einer Berührung von ihm dein Magen
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