Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
Vergangenheit an.
Denser drückte seine Schulter. »Sie wird uns helfen. Warte einfach ab.«
»Ich kann sonst nichts mehr tun«, sagte Ilkar. »Er ist alles, was ich habe.« Er sah Hirads ruhiges, regloses Gesicht an. »Nur du und ich, alter Freund. Wage es ja nicht, ohne mich zu sterben.«
Er wollte sich wieder in die leichte Trance fallen lassen und mit seinem Bewusstsein Hirads verletzten Bauch heilen und die Stelle suchen, wo sein Rinnsal von lebenserhaltendem Mana die größte Wirkung entfalten konnte, doch in diesem Moment wurden die hinteren Türen geöffnet.
Etwas unsicher auf den Beinen, aber sonst völlig lebendig, betrat Talan den Raum. Will und Jandyr entspannten sich, Will lächelte sogar. Auch Ilkar lächelte einen kleinen Augenblick. Doch seine Freude verflog so rasch, wie sie gekommen war. Auf Talans Armen lag Richmond mit schlaffen Beinen, pendelndem Kopf und hängenden Armen. Talans
bekümmertes Gesicht verriet genug. Der Kämpfer legte den toten Freund auf den nächsten Tisch.
»Das ist mir eine Totenwache zu viel«, sagte er. »Es muss doch …« Dann wanderte sein Blick, der bisher auf Ilkar geruht hatte, zu Hirad, und der Kummer in seinem Gesicht wich schierem Entsetzen. »Oh, nein«, sagte er tonlos. »Bitte, Gott, nein.« Er wollte sich in Bewegung setzen, doch Denser hielt ihn auf.
»Er lebt noch«, erklärte der Xeteskianer. »Und wir können nur hoffen, dass er vorläufig am Leben bleibt.«
Die Erleichterung, die ihm durch die Worte des Magiers zuteilwurde, raubte seinen Beinen die letzte Kraft, und er setzte sich schwer.
»Und dann?« Talan hatte Densers Unsicherheit bemerkt.
»Dann wird hoffentlich Erienne helfen. Sie ist Hirads einzige Chance.«
»Was meinst du damit, dass sie hoffentlich hilft?« Talan betastete seinen Hinterkopf und erforschte die Schwellung, das verkrustete Blut und das verklebte Haar.
»Ihre Söhne sind tot, und damit, so glaubt sie, sei ihr Leben vorbei. Sie gibt dem Raben die Schuld.«
»Und wenn sie nicht hilft?« Talans Gesicht machte deutlich, dass er die Antwort bereits kannte. Ilkar bestätigte nur noch, was er ohnehin schon fürchtete. Und es kam noch schlimmer.
»Hirad wird sterben«, sagte er. »Und ich fürchte, ich werde ebenfalls sterben.« Der Julatsaner zog die Augenbrauen hoch, dann konzentrierte er sich wieder auf den sterbenden Hirad.
Talan legte eine Hand an den Mund und knetete zwischen Daumen und Zeigefinger seine Unterlippe. Der pochende Schmerz im Hinterkopf war völlig vergessen, während er über die schlimmen Neuigkeiten nachdachte. Alles
lag offen vor ihm, und doch weigerte er sich, es zu glauben. Zugleich wusste er aber auch, dass es keinen Zweifel geben konnte. Ilkar beschrieb die Dinge stets so, wie er sie sah, und er hatte gerade erklärt, dass das Ende nahte. Möglicherweise. Erienne war der Schlüssel. Sie musste es verstehen. Er stand auf.
»Wohin willst du?«, fragte Denser.
»Wo ist Erienne?«, fragte Talan.
»Du wirst uns nicht helfen, wenn du sie unter Druck setzt«, warnte Denser.
»Was weißt du denn schon?«, rief Talan. »Sind es deine Freunde, die vor deinen Augen sterben? Ich glaube nicht. Der Rabe wurde zum ersten Mal überhaupt geschlagen, und es kann noch schlimmer kommen. Sie muss die Konsequenzen verstehen …«
»Sie weiß es.« Ilkars Stimme war schwer vor Erschöpfung. »Wir müssen darauf vertrauen, dass ihre Magier-Instinkte ihren Kummer verdrängen, bevor es zu spät ist. Wir haben alles getan, was wir tun konnten.« Er atmete ein, flatternd und voller Schmerzen. »Bitte, mach keinen Lärm mehr. Es ist auch so schon schwer genug.«
»Wir könnten wohl alle etwas zu essen gebrauchen«, sagte Denser. »Die Küche ist …«
»Ich weiß, wo sie ist.« Teilweise, um Densers Bitte zu entsprechen, teilweise aber einfach auch, um möglichst schnell aus dem Raum herauszukommen, zog Jandyr los und suchte etwas Essbares. Der Kummer und die Verlustgefühle waren fast körperlich greifbar. Er fand die Atmosphäre bedrückend, und sobald die Tür hinter ihm zufiel, konnte er wieder frei atmen. Er stieg über die beiden Leichen hinweg und ging in die Küche.
Ilkar forschte mit seinem Bewusstsein und seinen Fingern, er ließ das Mana in Wellen fließen und hielt Hirad am
Leben. Ismans Schwert war tief eingedrungen und hatte Hirads Eingeweide an einem halben Dutzend Stellen aufgerissen und durchschnitten. Die Spitze hatte die Wirbelsäule angekratzt, doch sonst war das Rückgrat nicht verletzt. Das
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