Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
entschuldigt mich, ich habe es eilig.« Sie wandte sich um. Will kauerte zitternd neben dem Eingang zur Gruft. »Will? Was, zum …«
Eine Hand wurde auf ihren Arm gelegt. »Du solltest
wohl besser mitkommen. Du hast gerade mit einem xeteskianischen Hausgeist gesprochen. Er hat dich Herrin genannt.« Der Mann, der sie am Arm festhielt, war in mittleren Jahren. Sein ergrauendes Haar war schütter und dünn, doch die dunklen, schwermütigen Augen verrieten seine Stärke, als er sie anschaute. Erienne kannte ihn nicht.
»Ja, und wie du sehen kannst, habe ich ihm befohlen, das Kolleg zu verlassen. Und jetzt würde ich gern meinem Freund helfen.« Ihr Herz schlug wieder schneller. Sie musste noch etwas Zeit herausschinden.
»Ein gewöhnlicher Bürger nach Einbruch der Dunkelheit im Turm«, sagte er, zugleich geringschätzig und drohend.
»Darauf kommt es jetzt nicht an. Er braucht Hilfe. Schau ihn dir nur an«, drängte Erienne. Sie warf einen Blick zu Will, der sich nicht gerührt hatte. Was war ihm nur zugestoßen?
Der Magier machte sich nicht die Mühe, ihrem Blick zu folgen. »Dir muss bewusst sein, dass es ganz so einfach nicht ist.«
»Lass meinen Arm los.«
»Nein.« Der Griff verstärkte sich, und die anderen Magier kamen näher.
Erienne warf nervös den Kopf herum und verfluchte insgeheim Densers Starrsinn, der den Hausgeist geschickt hatte, um über sie zu wachen. Thraun stieß ein tiefes Knurren aus und näherte sich ihr. Die Magier sahen sich erschrocken um.
»Lass mich los«, sagte sie. »Bitte, ich kann ihn nicht kontrollieren.«
»Wir schaffen sie alle beide«, verkündete ein anderer Magier. »Ihr wisst, was zu tun ist.«
»Bei den Göttern«, sagte Erienne, die instinktiv erfasste, welchen Spruch sie wirken wollten. »Thraun, lauf weg!«
Der Wolf hörte nicht auf sie. Der Rudelbruder war verletzt, und die Frau wurde bedroht. Er beseitigte die Quelle der Bedrohung.
Der erschrockene Schrei des Magiers brach abrupt ab. Thrauns Kiefer packten seinen Hals und zogen ihn zu Boden. Erienne stolperte, als die Hand von ihrem Arm gerissen wurde. Einen Augenblick lang herrschte Verwirrung in der Halle.
Erienne rief Thraun zu, den Magier nicht zu töten.
In diesem Augenblick brach Sol durch die Haupttür herein, und die Magier flohen erschrocken. Einen erlegte der Protektor im Laufen mit einem Schlag in den Nacken. Da ihre Konzentration durchbrochen war, flohen die Magier in die Bibliothek und knallten die Tür hinter sich zu.
»Thraun, lass ihn!«, rief Erienne. Sie eilte zum Wolf und rechnete damit, nichts als Blut zu sehen, doch Thraun drehte den Kopf, und sie konnte unter seinen Pfoten den verängstigten Magier sehen, der einige Druckstellen am Hals hatte, ansonsten aber recht lebendig wirkte.
Sol schlug ihn bewusstlos, und Erienne konzentrierte sich wieder auf Will.
Der kleine Mann hatte sich zusammengerollt und wiegte sich leicht hin und her. Er schwieg, doch Krämpfe liefen durch seinen Körper, und der Atem drang zischend und abgerissen durch die zusammengebissenen Zähne.
»Will?« Erienne berührte ihn am Arm, doch er zuckte heftig zusammen. »Wir müssen gehen.«
Thraun tappte herbei, stieß ihn mit der Schnauze an und leckte über sein Gesicht. Es kam keine Reaktion, doch eine Bewegung im Mana ließ Erienne auffahren.
»Sie wirken einen Spruch«, rief sie. Sie zerrte an Wills Ärmel. »Komm schon! Steh auf!« Er rührte sich nicht, doch
jetzt war Sol neben ihr. Er bückte sich und nahm Will auf die Arme.
»Lauft«, sagte er. Sie rannten.
Jandyr galoppierte in den Hof vor den Ställen und fragte sich, wie er in der kurzen Zeit, die ihm blieb, vier Pferde satteln und zum Kolleg bringen sollte, doch er stellte fest, dass Denser schon vor ihm dort eingetroffen war. Der Magier scheuchte den Stallburschen, dem die Furcht nur zu deutlich im Gesicht stand, mit scharfen Befehlen durch die Gegend. Denser hatte etwas, das wie gefaltete Schwingen aussah, auf dem Rücken.
»Das wird aber auch Zeit«, sagte er.
Jandyr antwortete nicht. Er stieg ab und rannte zum Stallburschen. »Welches ist das Nächste?«, fragte er.
Der Bursche deutete auf Thrauns Pferd. »D-das Zaumzeug und der Sattel sind auf der linken Seite, erster Haken«, sagte er. Und dann stammelte er: »Er kam einfach aus der Luft angeflogen. Er ist geflogen. Er kann doch nicht …«
»Schon gut, mein Junge.« Jandyr kam mit Sattel und Zaumzeug wieder heraus. »Er wird dir nichts tun.« Er warf Denser einen kurzen Blick zu.
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