Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
tun.«
Denser wollte ihm sagen, dass dieser Mann nicht sein alter Freund war. Dass der Mann namens Sol eine xeteskianische Kampfmaschine war, ein Geschöpf mit natürlicher magischer Verteidigung und einer Kraft, die durch alle Protektoren verstärkt wurde, die in den Katakomben von Xetesk ruhten. Ein Wesen, das keinen anderen Gedanken
kannte, als seinen Meister zu verteidigen. Ein Mann, der weitgehend frei von Emotionen und Furcht war. Ein Mann, dessen Fähigkeiten im Kampf verstärkt wurden, wenn noch weitere Protektoren in der Nähe waren. Ein Mann, der nicht länger der Unbekannte Krieger war.
Doch er nickte nur. Er konnte nichts weiter tun. Und er musste herausfinden, warum Nyer unter den Hunderten Protektoren, die es im Kolleg gab, ausgerechnet diesen hier ausgewählt hatte, und warum Styliann die Wahl gebilligt hatte. Da stimmte etwas nicht, und Nyer musste erfahren, wie stark die Gefühle waren, die den Raben zusammenhielten.
»Ich werde am Morgen Kommunion halten, sobald ich wieder bei Kräften bin«, sagte er.
Hirad nickte dankbar. »Ich meine es ernst«, sagte der Barbar. »Ich kann nicht mit ihm zusammen weitermachen, solange er ein Protektor ist. Ich weiß, dass Balaia in Gefahr ist, doch ich bin nicht bereit, alles zu verraten, was ich bisher in meinem Leben für wichtig gehalten habe.«
Es war wirklich erstaunlich, und zugleich war es auch erschreckend.
Selyn hatte Parve schon einmal besucht, es musste etwa zehn Jahre her sein. Es war eine für jeden Magier-Spion obligatorische Pilgerschaft gewesen, teils eine Orientierung und teils eine Einweihung. Damals war die Stadt verlassen und zerstört gewesen. Der Staub von Jahrhunderten wehte durch einsame Ruinen, der Wind heulte auf den offenen Plätzen, wo einst die großen Gebäude gestanden hatten. Damals war ihr der Marsch durch die Torn-Wüste leichtgefallen. Einfach nur eine Wanderung über die rissige Erde, zwischen Dornenbüschen und scharfkantigen Steinen, in eine öde Ruinenstadt.
Die Magier von Xetesk und die Protektoren hatten dreihundert Jahre zuvor gewiss ganze Arbeit geleistet. In Parve war systematisch jedes einzelne Gebäude zerlegt worden. Alles, was eine religiöse oder magische Bedeutung hatte, war verschüttet worden. Straßen wurden aufgerissen, kleine Häuser dem Erdboden gleichgemacht, und die großen Marktplätze wurden umgepflügt. Alles nur, weil Xetesk jeden, der auf die Idee kommen mochte, sich gegen die Kollegien zu stellen, eindringlich warnen wollte, dass die Macht der Magier unvergleichlich war.
In einem Umkreis von sieben Meilen um das Zentrum von Parve sollte nie mehr etwas wachsen, das irgendeinen Wert hatte. Das konzentrierte Mana und – den Legenden nach – auch der Zorn, der über Parve hereingebrochen war, verpesteten die Luft und die Erde, erstickten jede Vegetation und trieben alle Tiere in die umliegenden Hügel und Wälder.
Als die Bäume verfaulten und umstürzten, die Feldfrüchte verdorrten und starben und die Wurzeln sich tief in die Erde zurückzogen und schliefen, wurde die Torn-Wüste geboren und legte ein stummes Zeugnis ab von der entsetzlichen Macht der offensiven Magie.
Selyn schob die tristen Erinnerungen beiseite, als sie sich der Wüste näherte. Rasch wurde ihr klar, dass es einen übermenschlichen Tarnzauber gebraucht hätte, um Parve über eine so große freie Fläche hinweg zu erreichen. Als der Nachmittag in die trübe Abenddämmerung überging, brannten Hunderte von Lichtern und Feuern in der Stadt der Wytchlords, und rings um die Stadt gab es Zeltlager, in denen reges Treiben herrschte. Die Torn-Wüste war voller Wesmen.
Ihr Aussichtspunkt befand sich am Saum des Waldes, der im Osten die Torn-Wüste begrenzte. Rechts von ihr,
keine zweihundert Schritt entfernt, war am Beginn des Hauptweges, der von Osten nach Westen durch den lichten Wald verlief, ein Wachtposten eingerichtet. Etwa fünfzehn Männer standen oder saßen um ein Lagerfeuer herum und sahen der Kolonne von Wesmen zu, die aus der Wüste in Richtung Understone-Pass marschierte.
Ihre Entscheidung war sehr einfach. Entweder musste sie die Kommunion hier und jetzt halten und die ganze Nacht draußen vor der Stadt verbringen, um sich zu erholen, oder sie musste in der Abenddämmerung weiterziehen, damit sie im Schutze der Nacht leichter nach Parve eindringen konnte.
Sie wusste, dass sie eigentlich Bericht erstatten sollte, dass die Kontaktaufnahme eigentlich schon überfällig war, doch hier draußen war die Gefahr
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