Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
anderen Menschen. Sirendor ging davon aus, dass dies auf seine Ausbildung in Xetesk zurückzuführen war, und nahm sich vor, Ilkar demnächst nach Einzelheiten über das Dunkle Kolleg zu fragen.
Als er wieder zu Denser schaute, musste er lächeln. Die Pfeife war zwischen die Zähne geklemmt und stieß gemütliche Rauchwolken aus wie immer, die Katze hockte vor dem Magier auf dem Sattel. Wenn man Genaueres über das Tier erfahren wollte, gab sich der Magier freilich sehr zurückhaltend und murmelte nur, es sei ein idealer Gefährte für jemanden wie ihn, der sein Leben hauptsächlich in Einsamkeit verbrachte. Denser dagegen versuchte nicht zum ersten Mal, den Rücken des Unbekannten mit neugierigen Blicken zu durchbohren.
»Er fasziniert auch mich«, erklärte Sirendor. »So war es schon immer.« Aus seinen Träumen gerissen, fuhr Denser herum.
»Was?«
»Der Unbekannte. Ich kenne ihn seit zehn Jahren, und ich weiß noch nicht einmal, wo er geboren wurde.«
»Auch kein Name?«, fragte Denser.
»Nein. Auch seinen Namen weiß ich nicht«, bestätigte Sirendor.
»Ich habe angenommen, Ihr wärt die Einzigen, denen er es verraten hat.«
»Ich fürchte, das ist nur ein Gerücht. Nicht einmal Tomas weiß es.«
»Wer ist Tomas?«, wollte Denser wissen.
»Der Wirt im Krähenhorst. Nun ja, er ist gemeinsam mit dem Unbekannten der Wirt. Tomas kennt ihn seit mehr als zwanzig Jahren. Er hat sich damals um den Unbekannten gekümmert, als dieser im Alter von dreizehn Jahren in Korina aufgetaucht war.« Sirendor schüttelte den Kopf. »Man lernt schnell, ihm gewisse Fragen besser nicht zu stellen.«
»Warum nennt ihr ihn den Unbekannten Krieger?«
Sirendor lachte. »Das ist die Frage, die am häufigsten gestellt wird. Sage mir, was du bisher gehört hast, und dann verrate ich dir die Wahrheit.«
»Ich habe bisher nur gehört, dass er nicht gefunden werden wollte«, sagte Denser achselzuckend. »Deshalb habe er sich geweigert, seinen Namen zu nennen.«
»Das hört man häufig, aber es ist völlig falsch«, erklärte Sirendor. »Ich meine, wenn er versucht hat, sich vor jemandem zu verstecken, dann war es doch ganz sicher keine gute Idee, sich Unbekannter Krieger zu nennen und mit dem Raben zu reiten, meinst du nicht auch?« Denser nickte. »Nein, als wir vor zehn Jahren im Krähenhorst den Raben gegründet haben, trafen wir uns, weil wir als Einzelkämpfer zuvor einen Kontrakt angenommen hatten, den Gyernath ausgeschrieben hatte. Mit ›wir‹ meine ich ihn, mich, Hirad und Ilkar. Ich erinnere mich noch, dass wir alle nach Korina zurückritten. Er sagte, er besitze dort einen Gasthof, und wir könnten bei ihm übernachten und etwas zu essen bekommen, weil er etwas mit uns besprechen wollte. Wir nannten uns nach dem Raben wegen des Ortes, an dem wir tranken, und dann einigten wir uns auf den Kodex und unterzeichneten das Dokument, das Tomas in seinem Hinterzimmer an die Wand gehängt hat. Als der Unbekannte an der Reihe war, wollte er zuerst nicht unterschreiben und sagte, sein Name sei unwichtig. Erst in diesem Augenblick wurde uns anderen klar, dass er in der ganzen
Woche, die wir gemeinsam gekämpft hatten, nicht verraten hatte, wie er hieß.«
»Warum aber der Rabe? Krähen leben im Krähenhorst, aber nicht der Rabe.«
»Es ist die gleiche Familie von Vögeln, doch der Name ist besser. Kannst du dir vorstellen, wie wir dastehen würden, wenn wir uns ›die Krähe‹ genannt hätten?«
Denser kicherte, und der Laut wurde von den Felsen vor ihnen zurückgeworfen, wo sich der Pass ein wenig verbreiterte. Sirendor fuhr mit seiner Erklärung fort.
»Wie auch immer, ich weiß noch, als wäre es gestern gewesen, was Hirad und Ilkar gesagt haben. Das Großmaul meinte: ›Wir wollen keinen geheimnisvollen Mann in der Gruppe, also unterschreibe oder verzieh dich.‹« Sirendor schüttelte den Kopf, als die Erinnerungen in ihm auftauchten. Es war so typisch und unverwechselbar Hirad. »Ilkar meinte: ›Genau, wer bist du überhaupt, irgendein sagenhafter unbekannter Krieger, oder was?‹ So entstand der Name, der dann mit dem Kodex auf Pergament verewigt wurde. Und dieser Name blieb haften.« Sirendor zuckte mit den Achseln. »So einfach war das.«
Denser kicherte noch einmal. »Nun ja, nun ja. Und so entstehen Legenden.«
»Das wollen wir doch hoffen«, sagte Sirendor.
»Aber seid ihr nicht neugierig? Wollt ihr nicht wissen, wie er wirklich heißt und warum er es euch nicht sagen will?«, fragte Denser, wieder ernst
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