Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
Wichtigste, wenn man überleben wollte. Styliann hatte eine Bemerkung gemacht, dass sie auch eine hervorragende Meuchelmörderin abgeben würde, doch sie hatte die Vorstellung, auf Befehl jemanden zu töten, entsetzlich gefunden. Andererseits war ihr Weg durchaus mit den Leichen jener gepflastert, die versucht hatten, sie aufzuhalten.
Selyn lächelte in sich hinein. Vielleicht durfte sie Xetesk doch noch einmal wiedersehen. Wenn sie vorsichtig war und fest daran glaubte, war alles möglich. Sie stand unter Druck, rechtzeitig Parve zu erreichen. Sie kannte nur einen Spruch, der ihr diesen Druck nehmen würde, und setzte ihn ein. So zog sie nach Nordwesten durch den lichter werdenden Wald zum gebirgigen, öden Land, das reichlich Plätze zum Verstecken bot, aber nicht mehr viele, an denen sie Trost finden konnte. Die Länder im Westen waren gekennzeichnet durch tiefe Schluchten und Gebirgsketten, über die ganz plötzlich und ohne Vorwarnung heftige Stürme kommen konnten. Im Augenblick aber wärmte die Sonne die Erde, und der kalte Fels schien eine Ewigkeit entfernt zu sein.
Die Sonne hatte den Zenith schon überschritten, als der Rabe durchs Nordtor Korina verließ. Sie wollten zu den
Ruinen von Septerns Haus, das drei Tagesritte im Nordwesten lag. Am Morgen hatte Sirendors Beerdigung stattgefunden. Denser war zu diesem Ereignis nicht eingeladen worden.
Nachdem sie den Ort ihres Kummers hinter sich gelassen hatten, ritten sie in lockerer Formation. Der in sich gekehrte und hohläugige Denser bildete mit Talan und Richmond die Spitze. Der Unbekannte Krieger und Hirad Coldheart ritten ungefähr zwanzig Schritt hinter ihnen. Ilkar hatte sich weit zurückfallen lassen. Seit sie ihre Pferde gesattelt hatten, war von ihm kein Wort mehr zu hören gewesen.
Eine Stunde war nach ihrem Aufbruch aus Korina vergangen, und Hirad rechnete schon beinahe mit einem Angriff der Hexenjäger. Die Überlegung, dass sie vielleicht doch nur eine einzelne Meuchelmörderin ausgesandt hatten, brachte Hirad auf die Frage, was für eine eigenartige Organisation das sei. Er war sogar ein wenig enttäuscht von ihnen, baute jedoch darauf, dass sie Denser nach wie vor umbringen wollten, und wenn er den Rücken des Dunklen Magiers betrachtete, musste er sogar lächeln. Es war in der Tat eine eigenartige Situation.
»Warum verabscheut Ilkar Xetesk eigentlich so sehr?«, fragte er, ohne den Blick von Denser zu wenden.
»Warum fragst du ihn das nicht selbst?«, gab der Unbekannte zurück. »Es ist an der Zeit, dass er zu uns aufschließt.« Er drehte sich im Sattel um und winkte dem Magier, sich zu ihnen zu gesellen, doch erst als auch Hirad sich umdrehte, spornte Ilkar sein Pferd an.
Als der Elf näher kam, runzelte Hirad die Stirn. Ilkar trug die Nachwirkungen von Densers Offenbarungen am vergangenen Abend wie eine offene Wunde im Gesicht. Er versuchte zu lächeln, als er zu seinen Freunden stieß, doch
zu mehr als einem Hochziehen der Augenbrauen reichte es nicht.
»Alles klar, Ilkar?«, fragte Hirad.
»Was für eine blöde Frage«, erwiderte Ilkar. »Was kann ich für euch tun?« Seine Stimme war tonlos und belegt. Hirad wusste genau, wie der Magier sich fühlte.
»Hirad hat sich nur gefragt, was du eigentlich gegen Xetesk hast«, erklärte der Unbekannte.
»Jede Menge«, sagte Ilkar. »Um es einfach zu sagen, vertreten Julatsa und Xetesk, was die Magie angeht, völlig unterschiedliche Standpunkte. Wozu sie dienen soll, wie man die Forschung betreibt, wie man genügend Mana aufbaut … einfach alles. Wenn wir hüh sagen, dann sagen sie hott. In Julatsa gilt es als Verbrechen, für die Meister von Xetesk zu arbeiten. Versteht ihr?«
»Nein«, sagte Hirad.
Ilkar seufzte. »Schau mal – unterbrich mich, wenn du es schon weißt –, der Grund dafür, dass die Kollegien sich spalteten, war überwiegend moralischer Natur. Es ging um die Ziele der Forschung und um die Anwendung der Magie, die durch die Forschung entdeckt wurde. Auch die Methoden, um Mana zu sammeln, waren ein Streitpunkt. Um es verkürzt zu sagen: Xetesk fand einen schnellen Weg, das Mana aufzufrischen, und zwar durch Menschenopfer. Ich kann Xetesk eine Menge verzeihen, aber nicht dies.«
»Gibt es dort heute noch Menschenopfer?«, fragte der Unbekannte.
»Sie behaupten, es gebe keine, doch es ist eine Tatsache, dass die Methode immer noch wirkt, obwohl sie andere, kaum weniger verachtenswerte Wege gefunden haben. Wie auch immer, es läuft darauf hinaus, dass nach
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