Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
zu leben. Sha-Kaan wusste freilich, dass es dazu niemals kommen würde. Die Naik begehrten selbst sein Brutland, das geheim und gut gesichert war. Die Naik würden nicht zur Seite treten und die Veret das Land besetzen lassen.
Daraus ergab sich die Schlussfolgerung, dass die Veret bedroht wurden und sich mit den Naik verbündet hatten, um dieser Drohung zu entgehen. Aber warum hatten sie sich nicht an die Kaan gewandt? Und wer konnte ihnen schon glaubwürdig drohen? Keine Brut wollte das weite Gebiet der Veret im Shedara-Meer haben. Sie hatten schon
vor vielen Umläufen alle anderen im Meer lebenden Bruten ausgelöscht.
Schließlich dämmerte es ihm. Die Naik waren natürlich in der Lage, die Veret auszulöschen, wenn sie es denn wollten. Es wäre ein Akt reiner Rachsucht, aber es wäre möglich. Da er die Psyche der Naik ein wenig kannte, hielt Sha-Kaan es nicht für ausgeschlossen, dass sie mit der Ausrottung der Veret drohten, falls sie keine Hilfe bekamen. Und wenn sie mit einer Brut so umsprangen, dann konnten sie auch anderen auf die gleiche Weise drohen.
Es mochte eine Allianz der Furcht sein, aber es war dennoch eine, die sich sehr bald schon für die Kaan als verhängnisvoll erweisen konnte. Sha-Kaan hatte darauf gebaut, dass der Hass und das Misstrauen zwischen den Bruten dem Raben viel Zeit verschaffen würde, sodass der Zeitpunkt, an dem er den Dimensionsriss nicht mehr verteidigen konnte, noch in weiter Ferne läge. Doch eine Allianz ließ den Tag der Niederlage viel näher rücken.
Als er sich dem Zugang zum Brutland näherte, schob Sha-Kaan diese Gedanken beiseite. Er genoss den freudigen Augenblick, als er mit seiner Siegesformation durch das mit Nebel gefüllte Tal flog.
Später, in der Stille von Wingspread, dachte er über das Gespenst einer Allianz zwischen den Bruten nach und verfluchte die Streitsucht aller Drachen, doch auch er musste Verbündete finden, wenn zu befürchten stand, dass die Kaan bald unterliegen würden. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern führte Sha-Kaan keine öffentlichen Debatten, er kündigte keine Entscheidungen an und lud nicht zu Kritik und Meinungsbekundungen ein. Er hatte den Eindruck, dass es dadurch oft zu übereilten Entscheidungen kam.
Zwei Dinge musste er tun. Zuerst musste er mit den Veret reden und herausfinden, welcher Art ihr Bündnis war.
Dann musste er es brechen und womöglich ein eigenes Bündnis schmieden, oder er musste die mit den Naik verbündeten schwächeren Bruten finden und vernichten, wenn er konnte. Letzteres war keine erfreuliche Aussicht, weil es bedeutete, dass er die Kräfte der Kaan sehr strapazieren musste.
Das Zweite war ein persönliches Anliegen, um das er sich schon längst hätte kümmern müssen. Er hatte den Kontakt zu Balaia verloren. Er hatte keine Ahnung, wie dort die Kämpfe verliefen, und noch wichtiger war, dass er keinen Zugang zum heilenden Strom hatte, den der interdimensionale Raum ihm bieten konnte. Er musste einen neuen Drachenmagier finden.
Doch das war leichter gesagt als getan. Da in Balaias Kollegstädten und in deren Umgebung Schlachten tobten, hatten die bereits vorhandenen Drachenmagier seiner Brut kaum Möglichkeiten, neue Magier anzuwerben, die den Anforderungen Sha-Kaans gerecht werden konnten. Bisher waren jedenfalls keine ernst zu nehmenden Kandidaten aufgetaucht.
Das war für sich genommen schon ein ernstes Problem. Die Verbindung, die schon seit so langer Zeit zu Septern und dann zu den anderen Magiern bis hin zu Seran, der jetzt tot war, bestanden hatte, war mit ausdrücklicher Billigung der Magier und in der Gewissheit aufgebaut worden, dass ihr Geist die notwendige Stärke besaß. Wenn Sha-Kaan mit seinem Bewusstsein in den Geist eines nicht ausgebildeten Magiers eindrang, so begabt dieser auch sein mochte, dann bestand die Gefahr, dass der Betreffende mit geistiger Verwirrung reagierte oder sogar starb.
So blieb ihm nur eine Möglichkeit. Es gab einen Mann, der die nötige innere Kraft hatte und dessen Gefährten die notwendige Magie liefern konnten. Es war ein Bruch mit
einer mehr als vierhundert Jahre alten Tradition Balaias, doch er konnte es sich nicht leisten, wählerisch zu sein. Wenn er mit den Veret sprechen wollte, dann brauchte er die Möglichkeit, sich zu heilen, und ohne einen Drachenmagier in Balaia blieb ihm Heilung versagt.
Er streckte den Hals, packte einen Ballen Flammengras und schob ihn zwischen den großen Kiefern hin und her, während er kaute und schluckte.
»So sei
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