Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
war nicht sicher, wie sie es anfangen sollte, sie wusste nur, dass sie ihn erreichen musste, und zwar nicht nur ihretwegen, sondern für den ganzen Raben.
»Ich rede doch mit dir«, gab er zurück.
»Ach ja, die Unterhaltungen, die hauptsächlich aus ›Hallo, wie geht es dir‹ und so weiter bestehen. Sehr tiefsinnig, sehr befriedigend.« Ein leichter Wind ließ die Blätter hinter ihr rascheln und wehte ihr das Haar ins Gesicht.
»Und worüber willst du jetzt mit mir reden?«
»Über dich. Bei den Göttern, Denser, siehst du nicht, was mit dir passiert ist, seit du Dawnthief gewirkt hast?«
Sie wurde wütend, als sie seine mürrische, destruktive Haltung sah.
»Nichts ist passiert«, sagte er bockig. »Ich habe nur ein klares Verständnis für die wahre Wirkungsweise der Magie gewonnen.«
»Ja, und sieh nur, was dies mit dir gemacht hat. Du ziehst dich vor uns und vor mir zurück und tust so, als stündest du über uns allen. Als wären wir auf einmal weniger wert als du.«
»Das ist aber nicht das, was ich denke.«
»So wirkt es aber. Du fauchst Ilkar an, du legst dich mit Hirad an, und mich ignorierst du meist.« Tränen schossen ihr in die Augen. Erst vor kurzer Zeit hatte sie bei ihm gesessen und seinen Kopf in ihrem Schoß geborgen. Sie war so stolz auf ihn gewesen, so glücklich, dass er überlebt hatte, auch wenn er nach seiner Leistung erschöpft war. Doch ihre Gefühle waren an den Mauern abgeprallt, die er errichtet hatte, und jetzt fühlte sie sich hilflos. »Was geht da nur in deinem Kopf vor?«
»Nichts«, sagte er leise.
»Genau«, fauchte sie. »Seit du deine Mana-Reserven wieder aufgebaut hast, benimmst du dich, als gäbe es nichts, was dir überhaupt noch etwas bedeutet. Ich nicht, der Rabe nicht und unser Kind auch nicht.«
»Das ist nicht wahr.« Denser wollte sie immer noch nicht ansehen. Sie hätte gern den Arm ausgestreckt und ihn berührt, doch ihr Herz verkrampfte sich, als sie sich vorstellte, wie er zurückschrecken würde.
»Dann rede doch mit mir«, drängte sie ihn. »Bitte.«
Er seufzte, und sie hätte ihm beinahe eine Ohrfeige versetzt. Doch dann trafen sich ihre Blicke, und sie sah, wie er um die richtigen Worte rang.
»Es ist so schwierig«, sagte er und zuckte leicht mit den Achseln.
»Wir haben die ganze Nacht Zeit.«
»Wohl kaum.« Ein winziges Lächeln spielte um seine Lippen. »Du verstehst etwas von der Magie. Du begreifst die Kraft, die man braucht, um das Mana zu bändigen, und du kennst die Erschöpfung, nachdem du einen Spruch gewirkt hast. Du weißt auch, dass alle Magier nach immer neuen Wegen suchen, um diese Erschöpfung so gering wie möglich zu halten. Ich habe einfach den größten Teil davon in einer einzigen Portion serviert bekommen, und das ist erst die Hälfte davon.«
Erienne hätte gern etwas gesagt, doch sie schwieg, um seinen Gedankenfluss nicht zu unterbrechen. Sie war nicht sicher, ob irgendetwas, das er sagte, überhaupt eine Rolle spielte, doch sie war froh, dass er zu reden begonnen hatte.
»Es ist doch so, dass wir alle eine Lebensaufgabe und einen großen Traum haben. Ich habe herausgefunden, dass der Trick darin besteht, diesen Traum nie zu verwirklichen.« Er schaute zum Wasser hinaus.
»Das verstehe ich nicht. Warum sollte man Dingen nachjagen, die man eigentlich gar nicht erreichen will?«
»Was machst du, wenn du das höchste Ziel deines Lebens erreicht hast?«, fragte er.
Erienne fiel im ersten Augenblick nichts ein. »Es muss doch immer irgendetwas geben.«
»Das dachte ich auch. Aber was ist, wenn nichts so groß ist wie das, was du gerade vollbracht hast?«
»Ich …«, wollte sie sagen. Sie glaubte ihn zu verstehen, und einen kleinen Augenblick lang schienen alle Mosaiksteinchen wie von selbst ihre richtige Position zu finden. Dann sah sie, dass es doch nicht passte. »Wie kannst du denn sagen, du hättest keine Aufgabe mehr?«, fragte sie. »Wir sind hier, weil wir den Riss schließen müssen. Niemand
außer uns kann es tun. Ist dir das nicht wichtig genug?«
»Ich weiß nicht.«
»Wenn wir versagen, dann stirbst du. Dann werden wir alle sterben.«
»Aber ich habe keine Angst mehr vor dem Tod. Ich habe Dawnthief gewirkt. Ich habe etwas getan, das ich für unerreichbar hielt. Das Einzige, von dem ich überhaupt noch träumen konnte, weil ich genau wusste, dass ich es nie erreichen würde. Doch ich habe es getan, und jetzt bin ich leer. Wenn ich jetzt sterbe, dann sterbe ich mit dem Gefühl, etwas vollendet zu
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