Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
neuen Anweisungen versorgt hatte, stieg er über die Wolkenschicht und nahm das Strahlen des Kreises und die Schönheit seiner Welt in sich auf.
Aus der Höhe erfreute diese Ruhe sein Herz, und einen Moment lang konnte er fast glauben, auf seiner Welt herrsche Frieden. Warmes, gelb-orangefarbenes Licht erfüllte den Himmel, wurde von den Wolken reflektiert und traf sein Auge. Er schloss die inneren Lider und konzentrierte sich auf das Gebiet unter ihm.
Nichts drang von dort in sein Bewusstsein ein, keine Schwärme von Drachen versetzen die Luft in Unruhe, keine aufgeregten Geister erfüllten die Leere mit Lärm, kein
Kläffen kündete von kommenden Schlachten, keine Schmerzensschreie sprachen von verlorenen Kämpfen. Zufrieden beschleunigte er und raste durch den Himmel.
Das Shedara-Meer nahm die nördliche Halbkugel ein. Wo die großen Landmassen von Dormar und Keol endeten, begann das Meer, in dem es nur einige Inseln, Riffe und Sandbänke gab, die bei Ebbe riesig und bei Flut unsichtbar waren. Doch ein Drache, der das Land völlig mied, selbst wenn er sich nur ungern in trockener Luft aufhielt, war kurzsichtig. Die Veret waren zwar ganz auf das Leben im Meer eingestellt, doch auch sie nisteten und brüteten in Höhlen, die nicht ständig vom Wasser überflutet waren.
Sha-Kaan wusste, wo die Brutgebiete der Veret lagen, und er flog absichtlich mitten durch ihr geistiges Netz, bevor er steil nach oben zog, um auf die unausweichliche Reaktion zu warten. Es sollte nicht lange dauern.
Ein Schwarm Veret, es waren sechs starke Exemplare, raste kampfeslustig durch die feuchte Luft zu ihm herauf. Sha-Kaan entschärfte ihre Wut, ehe sie den Kampf aufnehmen konnten.
»Ich will mit Tanis-Veret sprechen«, sagte er. Die Tatsache, dass er den Ältesten der Veret beim Namen kannte, sollte ihr Feuer zügeln. »Ich bin Sha-Kaan.«
Die Veret kamen in Spiralen zu ihm herauf und warnten ihn, ja nicht in ihr Brutland hinabzustoßen. Ihre aquamarinblauen Schuppen blitzten feucht im Sonnenlicht, ihre Flügel trugen sie rasch empor, und ihre stromlinienförmigen Körper boten der Luft kaum Widerstand. Er sah ihnen zu, wie sie abdrehten, schätzte ihre selbstbewussten Bewegungen ein und schloss, dass er wahrscheinlich sterben musste, wenn sie ihn angriffen. Er blieb, wo er war, und kreiste langsam. Die Veret sperrten den Luftraum
rings um ihn. Sha-Kaan spürte die Ehrfurcht, die sie vor ihm hatten, aber auch ihren Zorn, und bei einem, der rechts neben ihm flog, auch den Hass.
»Du wirst nicht ausbrechen, wenn wir sinken. Du wirst niemanden rufen«, sagte der Veret, der Hass empfand.
»Ich verstehe«, sagte Sha-Kaan. »Ihr müsst erkennen, dass ich keine Bedrohung für euch bin. Ich bin allein gekommen, um zu reden.«
»So halten wir es hier«, sagte ein anderer, der etwas respektvoller sprach. »Alle Besucher müssen ins Brutland eskortiert werden.«
»Man kann nicht vorsichtig genug sein.«
Sie sanken steil nach unten und flogen langsamer als gewöhnlich, um auf Sha-Kaans weniger günstig geformten Körperbau Rücksicht zu nehmen. Sie hielten auf eine kleine Felseninsel zu, von der fünf gewaltige Felstürme emporragten.
»Lande in der Mitte«, wiesen sie Sha-Kaan an. Die Eskorte zog sich zurück. Sha-Kaan spreizte seine riesigen Schwingen weit und bremste rasch ab, um zwischen den Felsnadeln auf den größten der vom Wasser benetzten Felsvorsprünge zu sinken. Tanis-Veret brach gleich darauf durch die Wasseroberfläche und zog Wassermassen mit sich, die donnernd in die Brandung zurückstürzten. Er flog in den Himmel hinauf wie ein Pfeil, der die Luft durchschneidet, und sein Begrüßungsruf hallte zwischen den Steinsäulen. Tanis-Veret überschlug sich in der Luft und landete ganz am Rand der Insel. Sein Schwanz ragte noch ins Wasser, und die Wellen, die er durch seinen Aufstieg erzeugt hatte, schwappten über den Stein.
»Es gibt nichts Schöneres, als den Wind auf feuchten Schuppen zu spüren. Du bist weit von deiner Heimat entfernt, Sha-Kaan.«
»Dies ist eine außergewöhnliche Situation«, erwiderte der Große Kaan. »Ich grüße dich, Tanis-Veret.« Er hob den Hals zum förmlichen S und erwiderte den Blick des anderen Brutältesten.
»Und ich grüße dich.« Tanis konnte seinen kurzen Hals nicht auf ähnliche Weise biegen wie Sha-Kaan, doch er hob den Rumpf, um wie sein Gast höflich die Bauchschuppen zu entblößen.
Über ihnen löste sich die Eskorte auf, und die Veret stürzten sich ins Meer. Es spritzte
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