Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
haben.«
Jetzt versetzte sie ihm tatsächlich eine Ohrfeige. Sie traf seine Wange, und das Klatschen hallte laut durch die ruhige Nacht. Wahrscheinlich hatte sie damit die Rabenkrieger aufgeschreckt, doch das war ihr egal. Jede Frustration, jeder kalte Blick, mit dem er sie angesehen hatte, jede kleine Zurücksetzung lag in diesem einen Schlag. Allerdings fühlte sie sich danach nicht besser.
»Dann tu es für jemand anders. Was ist mit mir? Was ist mit deinem Kind?« Sie weinte. »Du selbstsüchtiger Schweinehund.«
Er fasste sie am Arm. »Ich habe Dawnthief gewirkt, um uns alle zu retten.«
»Du hast es für dich selbst getan«, knurrte sie. Auf einmal empfand sie nur noch Verachtung für ihn. »Das hast du gerade sehr deutlich beschrieben.« Sie riss ihren Arm aus seinem Griff. »Es wundert mich nur, dass du es nicht mit voller Kraft getan hast. Ich meine, warum schreckst du vor dem äußersten Akt der Selbstsucht zurück, warum reißt du uns nicht alle mit? Wenigstens wärst du danach nicht in dieses verdammte Selbstmitleid verfallen.« Sie wollte gehen, doch seine Antwort ließ sie innehalten.
»Das hätte ich auch beinahe getan. Aber ich konnte nicht, weil ich dich liebe.«
Sie drehte sich um und hatte nicht übel Lust, ihm noch eine Ohrfeige zu verpassen, weil er mit ihren Gefühlen spielte. Doch irgendetwas an seinem Tonfall hielt sie ab.
»Das ist eine außerordentliche Behauptung«, sagte sie kalt.
»Aber sie ist wahr.«
»Nun, du hast neuerdings eine komische Art, mir deine Zuneigung zu zeigen.«
Denser schaute zu ihr auf, seine Augen schimmerten im schwachen Licht. »Ich kann im Augenblick nicht das sein, was du brauchst. Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich das Gefühl, ein großes Opfer erbracht zu haben. Nicht nur für dich, sondern für den Raben. Aber als es so weit war, konnte ich das Vertrauen, das ihr mir erwiesen habt, nicht enttäuschen. Ich meine euch alle damit. Und so sehr Dawnthief auch versucht hat, mich zu verleiten, die ganze Welt mitzureißen, ich konnte es nicht tun.« Er starrte betreten ins Gras. »Das ist schon komisch. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals den Spruch wirken könnte, aber als ich ihn gewirkt habe, war mein Wunsch, dass du weiterlebst, wichtiger als dieses schreckliche Verlangen, mein Lebenswerk zu vollenden.«
Erienne setzte sich neben ihn und legte ihm einen Arm um die Schultern. Sie streichelte die Stelle, die sie geschlagen hatte.
»Und jetzt hast du die Chance, eine neue Lebensaufgabe zu finden, mein Lieber«, flüsterte sie. »Du hast dein Leben lang gelernt, wie man zerstört, aber du und ich, wir haben etwas erschaffen. Du kannst dafür sorgen, dass es nicht stirbt.« Sie bemerkte, dass er zitterte. Eine Weile wusste sie nicht, ob es die Kälte oder eine Gefühlsregung
war, doch als er sich schließlich zu ihr drehte, nahm er ihr Gesicht in seine Hände, und sie sah, dass er weinte.
»Ich will es mehr als alles andere, aber innerlich fühle ich mich betrogen, verstehst du? So weit ich mich zurückerinnern kann, war alles in meinem Leben zweitrangig im Vergleich zu diesem verdammten Spruch. Es war so fest in meinem Kopf verankert, dass kein Platz für irgendetwas anderes blieb. Aber jetzt ist es vorbei, und ich habe kein Zentrum mehr, keinen Wesenskern, der den Wunsch in mir weckt, alle Schwierigkeiten durchzustehen und heil herauszukommen.« Er streichelte ihre Wange. »Ich weiß, wie hart das für dich klingen muss, und ich weiß, dass es nicht richtig ist, so zu empfinden, aber es ist nun einmal so. Was ist denn, wenn ich nie mehr so empfinden kann wie früher? Wenn ich nichts finde, das ich so sehr will, wie ich Dawnthief wollte?«
»Du wirst es finden, mein Lieber. Vertrau mir. Du musst es nur versuchen.« Sie küsste ihn sanft auf den Mund und spielte mit der Zunge an seinen Lippen. Fordernd erwiderte er den Kuss und drängte, bis sie den Mund öffnete, und auf einmal nahm er sie in die Arme und zog sie an sich. Sie reagierte auf ihn und wollte ihn, doch sie schob ihn fort.
»Ganz so einfach ist das nicht«, sagte sie. Ihre Haut war heiß, und ihr Herz raste. Ihre Gesichter waren dicht beieinander, und jetzt lächelte er das echte Lächeln, in das sie sich schon bei ihrer ersten Begegnung verliebt hatte und das zu verlieren sie gefürchtet hatte.
»Aber das hier ist doch wie gemacht für uns. Ein weicher Fleck Gras, der Fluss plätschert, der Mond gibt etwas Licht. Es wäre unhöflich, diese Situation ungenutzt verstreichen zu
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