Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
zu lassen. Er bückte sich und half der Frau auf die Beine.
»Komm schon«, sagte er. »Gib nicht auf. Wir können sie immer noch besiegen.« Doch als er sich umdrehte, um seine nächsten Befehle zu geben, wusste er schon, dass Julatsa am Ende war.
Aufgeschreckt von den Warnrufen an der Mauer rannte Kard zum Nordtor. Der Schweiß lief ihm in Strömen herunter, doch sein Kampfgeist war ungebrochen. Er rief den Männern im Laufen Ermutigungen zu, bis er neben Barras stand und die Lage einschätzen konnte. Er beugte sich zum alten Unterhändler.
»Es ist bald so weit, mein Freund«, sagte er. »Wenn die Zeit gekommen ist, dann führe ich Euch ins Herz.«
Barras nickte. »Aber wir wollen sie so lange wie möglich aufhalten, oder?«
Kard lächelte und brüllte seinen Männern Befehle zu. Er stand neben ihnen, während sie kämpften und die endlosen Wellen der Wesmen abzuwehren versuchten. Nach dem Sieg über die Dordovaner kehrten die Wesmen nun beflügelt zum Kolleg zurück und stellten immer mehr Leitern an die Mauern, sie brachten einen zweiten Rammbock nach vorn, und die Schlacht nahm an Heftigkeit zu.
An vier Stellen hatten die Wesmen schon die Mauern erklommen. Ihr wilder Angriff trieb die Verteidiger zurück. Die Feinde waren zu nahe, um Sprüche einzusetzen,
und die Mauern mussten im Kampf Mann gegen Mann gehalten werden. Doch als immer mehr Wesmen heraufgeklettert kamen, wurde klar, dass die Verteidiger unterlegen waren.
Kard schrie nach Reserveeinheiten und zeigte aufgeregt hierhin und dorthin. Seine auffällige Gestalt bot seinen Männern einen Orientierungspunkt. Barras und seine Magier deckten die lärmenden Massen, die sich unten aufstellten, unterdessen mit Feuerkugeln und Heißem Regen ein. Doch obwohl sie entsetzlich viele Tote zu beklagen hatten, formierten die Wesmen sich einfach neu und stürmten wieder vor.
»Das Tor!«, rief Kard. »Haltet das Tor!« Wie um seine Worte zu unterstreichen, ließ der mächtige Schlag eines Rammbocks das ganze nördliche Torhaus erbeben. Sofort wurden Sprüche losgeschickt und nach unten gezielt, doch das Feuer war kaum erloschen, da hatten die verstreuten Wesmen schon wieder den Rammbock bemannt. Sie witterten den Sieg.
Auch von Süden her nahm das Angriffsgebrüll an Lautstärke zu, als die Wesmen einen Zugang zur Mauer fanden. Eine Frau kreischte, als einer sogar bis in den Innenhof vordrang, bevor er von einem Einwohner niedergemacht wurde.
Die Verteidigung brach rasch in sich zusammen. Katapultgeschosse schlugen im Innern des Kollegs ein, wieder und wieder hämmerte der Rammbock gegen das Nordtor. Schon quietschten die Eisenscharniere bedrohlich, Sperrsprüche zischten, und Reparaturtrupps versuchten verzweifelt, das Tor zu verstärken. Nach einem Dutzend Durchbrüchen von unterschiedlicher Gefährlichkeit waren die Verteidiger fast am Ende. Kard wandte sich an Barras und wischte sich das Blut aus dem Gesicht.
»Jetzt ist der Augenblick gekommen«, sagte der General.
»Nein, wir können sie aufhalten«, sagte Barras. Mit den Augen suchte er nach einer Hoffnung, doch er fand keine. Kard packte ihn am Arm.
»Nein, Barras, wir schaffen es nicht. Geht jetzt, ich werde Euch abschirmen.« Der Elfenmagier umarmte Kard mit grimmigem Gesicht. »Lebt wohl, alter Freund.«
»Tut endlich, was Ihr tun müsst«, sagte Kard unwirsch. »Ich bin froh, Euch kennen gelernt zu haben.«
Und in ein paar Augenblicken bist du tot, dachte Barras. Er rannte zur Treppe, und während er rannte, lösten sich fünf Magier aus dem Kampfgeschehen und gesellten sich zu ihm. Sie waren die Auserwählten. Der Tod war ihnen sicher, aber ihr Opfer würde die Erinnerung an sie immer weiterleben lassen.
Als er zum Turm rannte, hallten ihm Kards Rufe in den Ohren; der Kampf war nur noch ein gedämpftes Brausen. Barras sah sich auf den südlichen Wehrgängen nach Kerela um und lächelte, als er die Erzmagierin zur Stadt deuten und Sprüche und Soldaten gleichzeitig anleiten sah. Als spürte sie seinen Blick im Rücken, drehte sie sich um und bemerkte Barras, der gerade stehen blieb. Einen Augenblick starrten die beiden Elfen einander an, und jeder Augenblick, den sie miteinander verbracht hatten, zog in diesem Moment noch einmal vor ihrem inneren Auge vorbei.
Barras spürte einen leichten, sanften Mana-Impuls. Kerela lächelte, nickte leicht und winkte. Barras winkte zurück und rannte zum Turm. Er nahm alles in sich auf und wusste, dass er es nie wieder sehen würde.
28
Lord Senedai
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