Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
Bibliothek und die Lebensmittellager waren für die Gäste gesperrt.
Trotz der frühen Stunde wanderten etwa einhundert Menschen im Hof umher. Von Kard hatten sie erfahren, welches Schicksal den Unglücklichen drohte, die den Wesmen in die Hände gefallen waren. Der General hatte nicht geschlafen. Zusammen mit jeweils einem der Ratsmitglieder, die sich gegenseitig ablösten, hatte er nacheinander alle Gruppen von Menschen innerhalb der Kollegmauern aufgesucht und die Situation so umfassend wie möglich erklärt. Bisher hatten seine Worte Trauer und Angst hervorgerufen, aber keinen Zorn. Barras sollte am letzten Treffen teilnehmen, doch zuerst musste er versuchen, für das Kolleg noch etwas Zeit herauszuschinden.
Er eilte vom Turm hinunter und ging rasch übers Pflaster zum Nordtor. Dort stieg er zum Torhaus hinauf und sah sich einem überraschten Wächter gegenüber.
»Mein Magier?«
»Ich muss mit Senedai reden. Entschuldige mich.« Barras ging zur Brustwehr, die über dem Tor verlief. Die üble Ausstrahlung des Dämonenschirms war zum Greifen nahe. Ein Stück dahinter saßen drei Wächter der Wesmen an einem kleinen Feuer auf einer kleinen freien Fläche zwischen dem Kolleg und den ersten Häusern der Stadt.
»Ich will mit eurem Lord sprechen!«, rief Barras. Die Wesmen schauten auf. Barras konnte sehen, wie sie die Stirn runzelten. Einer stand auf, kam etwas näher und legte sich eine Hand hinters Ohr.
»Ich muss mit eurem Lord sprechen«, sagte Barras. Die Antwort kam in irgendeiner Stammessprache, dann zuckte der Mann mit den Achseln.
»Trottel«, murmelte Barras. Er richtete sich auf und sprach noch etwas lauter. »Senedai. Holt Senedai her. Ja?« Es gab eine Pause, die eine Ewigkeit zu dauern schien, dann nickte der Wächter und trabte los. Unterwegs rief er seinen Kollegen eine Bemerkung zu, die daraufhin lachend in Barras’ Richtung blickten.
»Lacht nur, solange ihr könnt.« Barras lächelte zurück und winkte. Er musste nicht lange warten, bis Senedai aus den Schatten in den Feuerschein trat. Inzwischen war das erste graue Licht der Morgendämmerung zu sehen.
»Das habt Ihr genau abgepasst, Elf«, sagte Senedai, als er in sicherer Entfernung vor dem Schirm stehen geblieben war. »Ich hoffe doch, dass es jetzt eine ordentliche Kapitulation geben wird.«
»Letzten Endes, Lord Senedai, aber nicht in der Morgendämmerung. Wir sind noch nicht bereit.«
Senedai schnaubte. »Dann werden bald fünfzig Eurer Leute tot sein.« Er wandte sich zum Gehen.
»Nein, Senedai, wartet.« Der Lord der Wesmen breitete die Arme aus und drehte sich wieder um.
»Ich höre, aber es wird nichts ändern.«
»Ihr versteht unsere Situation nicht richtig.«
»Oh, aber gewiss verstehe ich sie. Ihr seid verzweifelt. Ihr seht keinen Ausweg mehr und versucht, etwas Zeit zu schinden. Habe ich nicht Recht?«
»Nein«, antwortete Barras. Er wusste nun, dass sein Versuch, der ohnehin nichts weiter als ein Schuss ins Blaue sein konnte, schon so gut wie gescheitert war. »Versetzt Euch doch in unsere Lage. Unser Volk ist verängstigt. Wir brauchen mehr Zeit, um die Leute zu beruhigen und sie davon zu überzeugen, dass Ihr ehrenhafte Absichten verfolgt. Noch wichtiger ist, dass wir unsere Angelegenheiten ordnen müssen.«
»Welche Angelegenheiten?«, fragte Senedai. »Ihr dürft nichts behalten, und alles, was Ihr hinterlasst, gehört uns. Euer Volk ist mit Recht verängstigt, weil wir stark und wild sind, aber die einzige Möglichkeit, die Leute davon zu überzeugen, dass wir nicht alles, was wir erobert haben, vernichten, ist, sie in unsere Hände zu geben.«
»Ich appelliere an Euer Mitgefühl, aber auch an Euren gesunden Menschenverstand und an Eure Vernunft«, sagte Barras. »Wir können unsere Leute beruhigen, und das wird Euch und uns helfen, aber wir brauchen mehr Zeit. Das ist die eine Sache. Noch viel wichtiger ist aber, dass das Kolleg gesichert sein muss, wenn Ihr schließlich triumphierend durch die Tore schreitet. Das Mana ist für diejenigen, die es nicht verstehen, eine gefährliche Kraft. Wenn Ihr jetzt ohne einen Magier hereinkommt, dann könnte ich nicht garantieren, dass Ihr es überleben würdet.«
»Wollt Ihr mir drohen, Magier?« Senedai erhob die Stimme und antwortete merklich schärfer.
»Nein. Ich sage Euch einfach die Wahrheit«, gab Barras ruhig zurück.
»Und trotzdem habt Ihr einen vollen Tag gewartet, um mir die Wahrheit zu sagen.«
»Es tut mir Leid, Lord Senedai, aber wir waren noch nie
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