Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
abzusehen, dass er noch einmal mit Senedai sprechen musste. Das Hochgefühl nach seinem kleinen Triumph verschwand schon wieder. Kard begann unterdessen mit seiner Ansprache an die etwa dreihundert im langen Raum versammelten Menschen.
»Danke, für Eure Geduld und dafür, dass Ihr gekommen seid. Inzwischen haben einige von Euch sicher schon erfahren, was draußen vor den Mauern vor sich geht. Für diejenigen,
die es noch nicht wissen, will ich es noch einmal zusammenfassen. Ich bitte Euch, Eure Fragen erst danach zu stellen …«
Barras ließ seine Gedanken wandern. Drei Tage. Sie waren wahrscheinlich insgesamt im Verhältnis acht zu eins in der Unterzahl, und wenn man allein die kämpfende Truppe rechnete, sah es noch schlechter aus. Wenigstens waren die Magier ausgeruht. Von Dordover war Hilfe unterwegs, doch der Schirm verhinderte die Kommunion. Kein Spruch konnte die Barriere durchdringen. Unterdessen mussten sie ihre Pläne schmieden. Er wollte das Kolleg nicht einfach aufgeben.
Sobald die Bevölkerung innerhalb der Mauern unterrichtet war, konnte man sich ernsthaft unterhalten. Wenn Julatsa fallen musste, dann sollte es eine Schlacht werden, die in die Legenden eingehen sollte.
11
Lange, bevor sie das Schwappen des Wassers am Westufer der Bucht von Triverne wahrnehmen konnten, hörten die Rabenkrieger – zumindest Ilkar und Thraun – ein leises Geräusch aus dem Lager der Wesmen.
Es war Nacht, sechs Tage nachdem sie sich von Darrick und Styliann getrennt hatten. Unter Thrauns Führung und mithilfe der Erfahrung des Unbekannten war der Rabe schnell durch das unwirtliche Gelände zwischen den Vorbergen von Sunatas Zähnen, wie man die große Gebirgskette im Norden nannte, vorwärts gekommen. Sie mussten wenig benutzte Wege nehmen, um den Dörfern und Stützpunkten der Wesmen auszuweichen, und manchmal über steile Felsen oder durch dichte Wälder, über gefährliche Schieferhänge und über kalte, abweisende Hochebenen wandern.
Sechs Tage lang beobachtete Hirad mit zunehmender Besorgnis, wie Denser sich immer weiter in sich selbst zurückzog. Die anfängliche Euphorie war verschwunden. Er hatte sich erholt, doch er hing düster seinen Gedanken nach und reagierte unwirsch, wenn man ihn ansprach.
Auch Erienne hatte unter seiner Stimmung zu leiden, und ihre vorsichtigen Annäherungsversuche wurden nicht selten schroff zurückgewiesen.
»Er hat wohl den Eindruck, getan zu haben, wozu er geboren wurde«, hatte sie am vierten Abend gesagt, nachdem er sich wie üblich früh in seinen Schlafsack verkrochen hatte. »Ich bin sicher, dass er immer noch viel für mich und unser Kind empfindet, doch das scheint ihm nicht genug zu sein, und er verbirgt seine Gefühle. Er hat Dawnthief und die Vollkommenheit, die der Spruch darstellte, so lange gejagt, dass er sich jetzt verloren fühlt, nachdem alles vorbei ist.«
»Und die drohende Invasion von Drachen vermag sein Feuer nicht zu wecken«, hatte Ilkar erwidert.
»Nein«, hatte sie gesagt. »Er hat keine Energie mehr, er hat es seit ein paar Tagen überhaupt nicht mehr eilig. Nach allem, was wir gestern Abend erfahren haben, ist das sehr merkwürdig.« Erienne hatte sich damit auf ihre Kommunion vom vergangenen Abend bezogen, die ihnen die ersten aufschlussreichen Resultate über die Messungen des Mittagsschattens geliefert hatte. Parve würde in etwas mehr als dreißig Tagen vollständig vom Schatten bedeckt sein, falls der Rabe keinen Weg fand, den Riss zu schließen. Dreißig Tage, bis die Drachen Balaia beherrschten.
Doch das lag für Hirad noch in ferner Zukunft. Im Augenblick mussten sie an den Wesmen vorbei nach Julatsa gelangen. Der Rabe hatte vor dem scharfen Wind, der über die Bucht wehte, in einem Tal Zuflucht gesucht. Über ihnen schwankten und rauschten die Bäume, das Gras wurde flach auf den Boden gedrückt, und die zähen Büsche stritten sich mit dem Farn um die wenigen geschützten Standorte. Die Rabenkrieger waren zwischen steilen Felsen einen langen, schlammigen Hang hinuntergestiegen, wo vor einiger Zeit
ein Erdrutsch stattgefunden hatte. Das Tal war voller Steine, die teilweise von Flechten überzogen waren.
Der gegenüberliegende Hang war mit violett blühendem Heidekraut bewachsen. Auch dort lagen lose Felsblöcke, und verkrüppelte Bäume wuchsen, wo der Wind nicht ganz so schneidend wehte. Thraun und Ilkar waren nach oben gestiegen, um die Situation an der Bucht einzuschätzen.
Hirad rieb sich die behandschuhten Hände und nahm
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