Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
still.
Der etwa zwanzig Fuß hohe Wachturm war aus vier kräftigen Stämmen gebaut, die man im Boden versenkt und zusätzlich mit Felsblöcken stabilisiert hatte. Bis hinauf zur überdachten Plattform waren einander überkreuzende Querstreben eingebaut. Oben standen die beiden Wächter. Auf der linken Seite der Plattform war eine Glocke an einem Ausleger befestigt. Der Klöppel war zum Schutz vor Wind und unachtsamen Ellenbogen seitlich festgebunden.
»Vergiss nicht, wir müssen ihnen die Kehle durchschneiden oder durchs Auge ins Gehirn stechen. Sie dürfen auf keinen Fall schreien«, flüsterte Denser.
»Ich weiß«, gab Ilkar zurück. Er war schrecklich nervös. Dies war nicht die Art von Kampfeinsätzen, an die er gewöhnt war. Er hatte schon mehr als einmal Gegner getötet, doch immer mit dem Schwert in der Hand oder mit einem offensiven Spruch. Nein, mit diesem Vorhaben konnte er sich nicht anfreunden. »Ich gehe direkt hinauf.«
Die Leiter war zwischen den beiden dem Lager zugewandten Pfosten befestigt und führte zu einer Lücke in der hüfthohen Brustwehr hinauf, die die Plattform umgab. Die beiden gelangweilten Wächter lehnten sich auf die Kante, wechselten gelegentlich ein Wort, waren aber meistens ruhig.
Ilkar packte die Holme der Leiter. Er wollte nicht stehen bleiben und nachdenken. Das Holz krachte beunruhigend, sein Herz machte einen Sprung, und mit den Augen suchte er die Plattform ab, ob sich dort etwas tat, aber die Wesmen hatten anscheinend nichts gehört. Der Wind war ihr Verbündeter.
Ilkar hatte Angst. Dies war eigentlich eine Aufgabe für einen Krieger, aber nur ein Magier war fähig, den Tarnzauber an Ort und Stelle zu halten. Nicht einmal der Unbekannte, der kurz nach seiner Entlassung aus dem Bann der Protektoren mit den Schattenschwingen geflogen war, hätte den Tarnzauber gut genug beherrschen können. Der Spruch erforderte eine Geschicklichkeit, die man nur mit langer Übung erwerben konnte. Die Mana-Gestalt zu halten, während man still stand und sichtbar wurde, und einfache Aufgaben zu verrichten, während man sich unsichtbar bewegte, ohne dabei die Konzentration zu verlieren, das waren Feinheiten, die man nicht ohne weiteres erlernen konnte. Einfache Aufgaben verrichten … etwa einen Mord begehen, dachte Ilkar sarkastisch.
Fünf Stufen unter dem oberen Ende begannen die
Probleme. Bei jedem Schritt knarrte das frische Holz. Ilkar wurde langsamer, doch unweigerlich tauchte oben über der Leiter der Kopf eines neugierigen Wächters auf, der stirnrunzelnd ins Zwielicht herunterstarrte, ohne etwas zu erkennen.
Ilkar spürte Densers Hand auf der Leitersprosse, die sein unterer Fuß gerade verlassen hatte. So nahe sollten sie einander eigentlich nicht kommen. Denser war nicht langsamer geworden, er konnte die von oben drohende Gefahr nicht sehen.
»Verschwinde da«, befahl Ilkar mit angehaltenem Atem den Wächter, als er weiter nach oben kletterte und dabei noch langsamer wurde. Wenn er jetzt ganz anhielt, würde sich der Zauber auflösen, und sichtbar werden bedeutete zu sterben. »Verschwinde.« Er machte noch einen Schritt und hielt die Füße an den äußeren Enden der Sprossen, doch ein weiteres Krachen hallte durch die stille Nacht, für Ilkar beinahe ohrenbetäubend laut. Der Wesmen-Krieger beugte sich weiter vor und schaute aufmerksam nach unten. Er war verwirrt, weil er etwas hörte, aber nichts sehen konnte.
Ilkar überlegte, ob er wieder nach unten steigen sollte, doch der Richtungswechsel hätte ihn verraten, ganz zu schweigen davon, dass er Denser überrascht hätte. Es war eine dumme, ausweglose Situation.
Der Wächter richtete sich auf, blieb aber am Rand der Plattform stehen. Ilkar konzentrierte sich auf das Stück Leiter, das er überblicken konnte, legte die Hand direkt unter den Füßen des Wächters auf die höchste Sprosse und zog mit der anderen sein Messer. Ihm blieb nichts anderes übrig.
»Bei den Göttern«, murmelte er und kam mit vorgestreckter Klinge hoch. Er traf den Wächter im Schritt, das Messer blieb stecken. Der Mann grunzte vor Überraschung und Schmerzen, taumelte einen Schritt zurück und stürzte.
Dabei wurde Ilkar der Dolch aus der Hand gerissen. Der Mann umklammerte den zwischen seinen Beinen steckenden Griff, während sich das Blut auf seinen Hosen ausbreitete.
Ilkar hielt sich links, weil er wusste, dass Denser die rechte Seite übernehmen würde. Als der Wächter mit einem dumpfen Knall auf die Plattform fiel, drehte sich sein
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