Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit
flatternden leichten Gewänder, die sie trugen, in der schwülen Hitze einfach bequemer waren. Sie wusste
auch, dass alte Elfen ihr weißes Haar meist lang wachsen ließen, was ihnen den Respekt der anderen eintrug, und dass die Muskeln und das Körperfett aus dem Körper schwanden, lange bevor sie wirklich hinfällig wurden, sodass sie in der letzten Lebensphase an Skelette erinnerten. Und diese Elfen waren unglaublich alt. Doch ihre äußere Erscheinung passte gut in die Albträume eines Kindes, und Lyanna hatte mehr als genug davon gehabt.
»Ich bleibe immer bei dir«, versprach Erienne. »Dir wird nichts passieren. Mein tapferes Mädchen. Mein tapferes kleines Mädchen.« Erienne streichelte Lyannas Haare, bis die Kleine sich zurückzog und aufschaute. Ihr Gesicht war verquollen und rot, nachdem sie sich so lange an die Mutter geschmiegt hatte. Erienne lächelte.
»Sieh dich nur an«, ermahnte sie ihre Tochter freundlich. Sie wischte Lyanna mit dem Tuch, das sie schon seit einer Weile bereithielt, die Tränen ab. »Hab keine Angst. Hast du noch Angst?«
Lyanna schüttelte den Kopf. »Nur ein bisschen. Lass mich nicht allein, Mami.«
»Ich lasse dich niemals allein. Willst du heute mit mir hier in deinem Zimmer schlafen?«
Erst jetzt inspizierte Lyanna ihre neue Umgebung, und ein kleines Lächeln stahl sich in ihr besorgtes Gesicht.
»Das ist ein schönes Zimmer«, sagte sie.
»Wenn du willst, ist es deins.«
»Wo ist dein Zimmer?«
»Ich werde dafür sorgen, dass es nebenan ist, damit ich dich hören kann. Ist das gut so?«
Lyanna nickte. Es klopfte, und Ren’erei steckte den Kopf herein.
»Wie geht’s denn so?«, fragte sie.
»Komm nur herein«, sagte Erienne. »Viel besser, danke.«
Ren’erei hatte eine lockere Stoffhose und ein Wollhemd angezogen. Erienne fiel ein, dass sie sich, genau wie Lyanna, noch nicht vom Schmutz und dem Schweiß des Tages gesäubert hatte.
»Gut«, sagte Ren’erei, ohne das Zimmer zu betreten. »Sie wollen euch unbedingt kennen lernen. Sie haben eure Reaktion nicht verstanden.«
Erienne starrte Ren’erei stirnrunzelnd an. »Dann muss man wohl annehmen, dass sie nicht viel Zeit mit Kindern verbracht haben. Ich nehme an, du hast es ihnen nicht erklärt?«
»Doch, so gut ich konnte«, entgegnete Ren’erei. Sie lächelte. »Sie haben inzwischen etwas formellere Kleidung angezogen.« Sie wandte sich zum Gehen. »Wenn ihr bereit seid, kommt einfach heraus. Ich warte draußen.«
»Richte ihnen meinen Dank aus, dass sie nicht in unser Bewusstsein eingedrungen sind. Das war rücksichtsvoll«, sagte Erienne.
»Sie verstehen vielleicht nichts von Kindern, aber rücksichtslos sind sie nicht. Lass dich nicht durch das Äußere täuschen.« Sie schloss leise die Tür hinter sich.
»Wenn es irgendeine andere Möglichkeit gegeben hätte, dann hätte ich sie ergriffen«, sagte der Unbekannte. Er stand in der Tür seines Hauses, es war Nachmittag. Draußen auf der Straße war Denser schon ungeduldig aufgesessen. Seine Unruhe übertrug sich auf die hellbraune Stute, die mit den Hufen scharrte und nicht ruhig stehen wollte.
»Du hast dich unmissverständlich ausgedrückt«, antwortete Diera. Ihr Gesicht war gerötet von den Tränen, die sie geweint hatte. Sie hatte ihre Haare eilig zu einem
Pferdeschwanz gebunden, der auf ihrer Schulter lag. Jonas war im Haus. Sie wollte nicht, dass er den Abschied sah.
»Diera, so ist das nicht. Stell dir doch vor, wie ich mich fühlen würde, wenn es um dich und Jonas ginge. Ich würde das Gleiche von ihnen erwarten.«
»Oh, dein verdammtes Ehrgefühl und deinen verdammten Kodex verstehe ich sogar sehr gut. Aber was ist mit dem Versprechen, das du mir gegeben hast?« Sie zischte ihre Worte, weil sie nicht wollte, dass Denser sie hörte.
Darauf gab es keine Antwort. Er brach sein Wort, und das schlechte Gewissen quälte ihn. Zuerst hatte er den Eindruck gehabt, dass sie es verstand, und sie hatten sich zärtlich und leidenschaftlich geliebt. Er hatte sich in ihr verloren, er wollte, dass das Gefühl niemals endete. Doch als er in der warmen Glut danach neben ihr lag, den Kopf auf eine Hand gestützt und mit der anderen ihre Brust streichelnd, hatten ihm ihre Tränen gezeigt, dass es kein harmonischer Abschied werden würde. Ihr Streit hatte Jonas geweckt, und erst sein Weinen ließ sie die Stimmen dämpfen.
»Was ich tue, ist unverzeihlich, aber ich kann mich auch nicht dafür entschuldigen«, sagte der Unbekannte. Er reichte ihr eine
Weitere Kostenlose Bücher