Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit
Ruhe betten. Bald musste er den Raben abfangen lassen und das gestohlene Pergament wieder in seinen Besitz bringen, aber im Augenblick konnte er noch einige Austern genießen, und Vuldaroq war kein Mann, der sich eine solche Gaumenfreude entgehen ließ.
Draußen frischte der Wind wieder auf und rüttelte an den Fenstern des Gasthofs. Es sah aus, als sollte Dordover eine stürmische Nacht erleben.
Hell brach die Morgendämmerung an, das Licht fiel durch die Fugen zwischen den Brettern in die Scheune. Der Unbekannte, Ilkar und Denser hatten bei einem Bauern Unterschlupf für die Nacht gefunden, nachdem sie spät am Abend und vom Wind gebeutelt sein Gehöft erreicht hatten. Sie hatten sich rasch schlafen gelegt, und jetzt war der vergangene Abend nur noch eine unangenehme Erinnerung.
Ilkar rollte sich herum, setzte sich in seinem improvisiertem Bett auf dem Heuboden über dem Vieh aufrecht und sah Denser vor sich.
»Bei den Göttern, ich hätte Julatsa nicht verlassen sollen«, sagte er. »Seit mehreren Tagen bin ich jeden Morgen neben einem hübschen Gesicht und einem begehrenswerten Körper aufgewacht, aber das habe ich aus irgendeinem unerfindlichen Grund gegen deinen verdammten Bart und den Gestank deiner Achselhöhlen eingetauscht.«
»Du weißt einfach nicht, was du an mir hast«, gab Denser zurück. Er kratzte sich am kurz getrimmten Bart.
»Nein«, entgegnete Ilkar, der schon zur Leiter unterwegs war. »Das weiß ich wohl wirklich nicht.«
»He!«, rief der Unbekannte von unten herauf. »Lasst das Schwatzen und setzt euch in Bewegung.«
»Hör auf den Mann«, sagte Ilkar lächelnd.
»Genau wie in alten Zeiten«, murmelte Denser.
»Nein, es ist ganz sicher nicht wie in alten Zeiten«, widersprach Ilkar.
Draußen vor der Scheune folgten sie dem Unbekannten, der schon über eine leere Koppel zum Bauernhaus marschierte. Die Pferde waren noch in den Ställen. In der Küche des zweistöckigen Hauses stand ein dampfender Teller mit Schinken auf dem langen Tisch, und der Duft von süßem Kräutertee erfüllte die Luft. Ilkar zog die Augenbrauen hoch.
»Das ist aber nett von ihm.« Er setzte sich neben den Unbekannten und schaufelte etwas Fleisch auf eine dicke Brotscheibe.
»Eigentlich nicht«, erklärte der Unbekannte. »Ich habe ihn dafür bezahlt.«
Der Hof gehörte zu einem Dorf, das fünfzehn Meilen südlich von Dordover in der Nähe der Hauptstraße nach Lystern in einem kleinen Tal lag. Der Ort hatte unter der Invasion der Wesmen gelitten, war aber inzwischen wieder aufgebaut worden. Die Felder waren bestellt, das Vieh ergänzt, und das Dorf war wieder in der günstigen Lage, gleich zwei Kollegien mit Lebensmitteln beliefern zu können. Da man hier mit Magiern einen freundschaftlichen Umgang pflegte, war Ilkar sicher gewesen, auf einem der Bauernhöfe aufgenommen zu werden, und da weder er noch Denser scharf darauf waren, länger in Dordover zu verweilen als unbedingt nötig, war diese Ansiedlung die beste Wahl gewesen.
»Hört zu«, erklärte der Unbekannte. »Es ist offensichtlich, dass die Dordovaner große Anstrengungen unternehmen,
um Erienne und Lyanna zu finden, und das bedeutet, dass wir uns keine Fehler erlauben dürfen. Bisher haben sie ihren Vorsprung von fünfzig Tagen nicht nutzen können, aber das wird nicht ewig so bleiben, und ihre Magier-Spione dürften überall sein und die Ohren aufsperren. Wir sollten auch mit der Möglichkeit rechnen, dass wir beschattet werden.
Nun hat uns Wills neugieriger Freund erzählt, dass es in der Nacht, als Erienne aufbrach, im Süden der Stadt eine gewisse Unruhe gab, sofern man dem Mann überhaupt glauben kann, was er sagt. Dazu kommt noch der Säufer, den du aufgetrieben hast, Denser. Er ist sogar noch unzuverlässiger, aber er meint, er habe eine Frau und ein Mädchen ungefähr in dieser Gegend in eine Kutsche steigen sehen.«
»Und was jetzt?«, fragte Denser. »Wir wussten ja schon, dass sie Dordover verlassen haben. Das ist doch nichts Neues.«
Der Unbekannte schüttelte den Kopf und trank einen Schluck Tee. »Denk doch nach, Denser. Du hast zu viel Zeit mit den Ränkeschmieden in Xetesk verbracht. Wir wissen zwei Dinge und können daraus auf ein drittes schließen. Zuerst einmal hatten sie Hilfe, wohin sie auch gegangen sind. Zweitens lässt eine Kutsche auf eine längere Reise schließen. Drittens sind die nach Süden gefahren.« Er hob die Hand, um Denser am Sprechen zu hindern. »Ich bin sicher, dass die Dordovaner dies ebenfalls
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