Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit
waren«, flüsterte Ilkar. »Der Wald hat keine klaren Grenzen mehr. Alles ist weg.«
Der Unbekannte deutete nach Nordosten. »Da drüben ist der Weg, allerdings ist er jetzt weitgehend verschüttet. Wir sollten nachsehen, ob wir da etwas tun können.«
Doch aus der Nähe war klar, dass es nichts für den Raben zu tun gab. Die hölzernen Eckpfeiler eines der Bauernhöfe, die vom Wald gelebt hatten, waren dicht über dem Boden abgebrochen. Hier und dort hatte der Sturm ein Stück gegerbtes Leder in eine Erdspalte gepresst. Alle anderen Lebenszeichen waren verschwunden.
Hirad starrte die Verwüstung an, die über den Dornenwald hereingebrochen war, und brachte zum Ausdruck, was sie alle dachten.
»Thraun?«
»Wir müssen einfach beten, dass er entkommen ist«, sagte der Unbekannte leise. »Aber selbst er hätte wohl Schwierigkeiten, einen umstürzenden Baum zu überleben.«
»Und was das Rudel angeht …« Ilkar ließ den Gedanken unvollendet. Thraun war ein Wolf, doch er hatte sich in seinem Bewusstsein immer Reste seiner Menschlichkeit bewahrt. So war es bei allen Gestaltwandlern, auch
bei denen, die ihre menschliche Form eines Tages verloren. Thraun hatte bereits mehr Trauer ertragen müssen, als die meisten Wesen seiner Art überhaupt aushalten konnten. Die Götter mochten wissen, was er tun würde, wenn er sein Rudel verlor.
»Was hat das hier verursacht?« Der Unbekannte schüttelte den Kopf.
»Ich wage nicht, weiter darüber nachzudenken«, sagte Ilkar.
»Was meinst du damit?«
»Lasst uns nach Greythorne reiten«, schlug Ilkar vor, statt direkt zu antworten. »Wir müssen Denser finden.«
Sie ritten weiter und verwarfen bald ihre anfänglichen Hoffnungen, die Stadt unbeschädigt zu sehen. Als sie durchs zerstörte Flachland am früheren Wald entlangritten, wurde deutlich, dass sich ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigen sollten.
Es war wie eine Reise durch eine fremde Welt, obwohl sie die Gegend gut kannten. So viele typische Merkmale der Landschaft und Orientierungspunkte waren verschwunden. Wegweiser, Grenzhügel, Gehölze und Dickichte, alles war vom Antlitz Balaias weggefegt worden. Eine entlegene Kate war zerstört, die Balken waren in der ganzen Umgebung verteilt, selbst der Mutterboden war fortgerissen worden, und darunter kam zum ersten Mal seit Jahrhunderten der nackte Fels zum Vorschein.
Der Wind, sofern es überhaupt der Wind gewesen war, hatte ohne Unterschied alles erfasst und alles zerstört.
Sie waren noch weniger als einen Tagesritt von Greythorne entfernt, und der Morgen war fast vorbei, als der Unbekannte sich im Laufe von ebenso vielen Meilen zum dritten Mal im Sattel umdrehte. Er ließ sich ein wenig zurückfallen und zügelte sein Pferd.
»He!«, rief er, während er abstieg und den Bauchgurt und die Schnallen kontrollierte. »Wartet mal.«
Hirad und Ilkar nahmen ihre Pferde herum, trabten zu ihm zurück und sprangen aus dem Sattel.
»Rutscht der Gurt?«, fragte Hirad.
Der Unbekannte nickte. »Nein«, sagte er. »Schaut nicht auf. Wir werden verfolgt. Passt auf, wir sollten die Wasserschläuche herausholen und eine Pause einlegen. Einverstanden?«
Hirad zuckte mit den Achseln. »Geht klar.«
Der Unbekannte löste den Gurt und schnallte ihn in der gleichen Position wieder fest, ehe er sich zu seinen Freunden an den Wegrand setzte. Die Pferde grasten ein paar Schritte entfernt.
»Wie viele sind es?«, fragte Hirad, während er ihm den Wasserschlauch reichte.
»Das kann man nicht sagen.« Er trank einen Schluck und spülte sich den trockenen Mund aus, dann gab er den Schlauch zurück. »Ich habe Metall funkeln sehen, und vor dem Horizont hat sich etwas bewegt.«
»Entfernung?« Ilkar strich sich mit einer Hand durchs Haar und legte sich auf den Rücken.
« Drei Meilen, vielleicht etwas mehr. Mit Sicherheit zu Pferd. Ich glaube, sie verfolgen uns schon seit den Balan-Bergen.«
»Aber du hast es nicht für nötig gehalten, uns zu warnen?« Hirads Ton war nur halb scherzend. Der Unbekannte presste die Lippen zusammen.
»Nein, Hirad, ich war nicht sicher«, sagte er. »Und es ist ohnehin nicht wichtig. Sie haben uns nicht angegriffen, und deshalb müssen wir annehmen, dass sie uns verfolgen, weil sie etwas herausfinden wollen. Das bedeutet auch, dass sie wahrscheinlich einen Magier bei
sich haben, der mit wem auch immer Verbindung aufnehmen kann.«
»Dordover«, vermutete Ilkar.
»Höchstwahrscheinlich«, stimmte der Unbekannte zu. »Wir dürfen allerdings nicht
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