Der Canyon
Sonnenuntergang aßen sie in aller Ruhe in einem der billigen Straßenrestaurants am Siem-Reap-Fluss zu Abend, während Frösche auf dem Boden herumhüpften und Motten gegen die Glühlampen der Lichterketten brummten. Sie waren in ihr abartig teures Hotelzimmer zurückgekehrt und hatten die halbe Nacht im Bett herumgeturnt. Sie hatten bis elf geschlafen und auf ihrer eigenen Terrasse gefrühstückt. Und dann war Julie zum Wagen gegangen, während er das Gepäck hinunterbrachte.
Er hörte die gedämpfte Explosion, als sich vor ihm gerade die Fahrstuhltür zur Lobby öffnete. Er nahm an, irgendwo sei eine alte Landmine hochgegangen – Kambodscha litt immer noch unter diesem Erbe. Er erinnerte sich, wie er über den von Palmen gesäumten Hof ging und durch die Glastüren der Lobby eine Rauchsäule vor dem Hotel aufsteigen sah. Er rannte hinaus. Das Auto lag auf dem Dach, fast in zwei Teile zerrissen, beißender Qualm lag in der Luft, ein Krater war in den Boden gesprengt. Einer der Reifen lag gut fünfzehn Meter entfernt auf einem makellosen Stückchen Rasen und brannte lichterloh.
Selbst da erkannte er sein eigenes Auto noch nicht. Er nahm an, es handle sich wieder einmal um einen politischen Mordanschlag, die in Kambodscha fast an der Tagesordnung waren. Er stand auf dem Treppenabsatz und hielt in beide Richtungen Ausschau nach Julie mit dem Wagen, weil er fürchtete, eine weitere Bombe könnte hochgehen. Während er dastand, sah er einen Stofffetzen, der von einem Windstoß mitgefegt wurde; er flatterte die Stufen vor dem Hotel herauf und blieb dicht vor seinen Füßen liegen – und er erkannte den Kragen der Bluse, die Julie am Morgen angezogen hatte.
Ford zwang sich mit großer Anstrengung, in die Gegenwart zurückzukehren, zu seinem Lagerfeuer, den dunklen Canyons, dem mit Sternen übersäten Himmel. Die vielen schrecklichen Erinnerungen schienen so lange zurückzuliegen, als sei all das in einem anderen Leben geschehen, als sei es einem anderen Menschen widerfahren.
Aber das war es ja gerade: War dies hier wirklich ein anderes Leben – und er ein anderer Mensch?
19
Die Lichter von Espanola funkelten in der Nachtluft, als Bob Biler sich der Stadt näherte. Der Streifenwagen war immer noch hinter ihm, aber Biler machte sich deswegen keine Sorgen mehr. Er bereute es schon, dass er in seiner Panik die Flasche unter den Sitz getreten hatte, und versuchte ein paar Mal, sie mit der Stiefelspitze wieder herauszuschieben, aber der Wagen geriet jedes Mal ins Schlingern, also ließ er es sein. Er hätte ja einfach rechts ranfahren und sie rausholen können, aber er war nicht sicher, ob es erlaubt war, hier einfach anzuhalten, und er wollte nichts tun, was die Aufmerksamkeit des Bullen auf ihn lenken könnte. Zumindest kam der Oldie-Sender endlich besser rein. Er drehte die Lautstärke auf und summte unmelodisch mit.
Ein paar hundert Meter vor sich sah er die erste Ampel am Stadtrand. Wenn er Rot erwischte, hätte er gerade genug Zeit, die Flasche unter dem Sitz herauszufischen. Verdammt, die Fahrerei machte durstig.
Biler fuhr langsam auf die Ampel zu, bremste rechtzeitig und sanft ab und beobachtete den Streifenwagen im Rückspiegel. Sobald sein Pick-up stand, beugte er sich über den Beifahrersitz und tastete darunter herum, bis sich seine schmierige Hand um die kalte Glasflasche schloss. Er zog sie heraus, duckte sich hinter die Lehne der Vordersitze, schraubte den Deckel auf, führte die Flasche zum Mund und kippte sich möglichst schnell möglichst viel hinter die Binde.
Plötzlich hörte er kreischende Reifen und Sirenengeheul – ein unglaublicher Tumult herrschte um ihn herum. Er fuhr hoch, vergaß ganz, dass er noch die Flasche in der Hand hatte, und wurde vom grellen weißen Licht eines Suchscheinwerfers geblendet. Anscheinend war er auf einmal von Polizeiwagen umgeben, alle mit eingeschaltetem Licht und Sirene. Biler war wie betäubt, er begriff nicht, was da vor sich ging. Er verzog das Gesicht, blinzelte gegen das blendende Licht, und in seinem Kopf herrschte nun statt bloßer Verwirrung absolute, vollkommene Leere.
Er hörte eine barsche Stimme über Megafon sagen: »Steigen Sie mit erhobenen Händen aus dem Wagen. Steigen Sie mit erhobenen Händen aus dem Wagen.«
Redeten die mit ihm? Biler blickte sich um, konnte aber sonst keine Leute sehen, nur das Blitzen und Blinken der Lichter überall.
»Steigen Sie mit erhobenen Händen aus dem Wagen.«
Die meinten ihn. In blinder Panik fummelte Biler
Weitere Kostenlose Bücher