Der Canyon
schlitterte, übersprang Felsbrocken und hatte gleich darauf die Hütte erreicht. Er zog die Waffe, trat die Tür ein, ging hinein und leuchtete mit der Taschenlampe um sich. Da führte tatsächlich ein weiterer Schacht in den Berg, und dieser Eingang war nicht vergittert. Er wagte sich hinein und ließ den Lichtstrahl in einen langen, ebenen Stollen gleiten. Das Gefühl drängender Eile erstickte ihn nun beinahe. Er joggte den Gang entlang und blieb an der ersten Gabelung stehen, um zu lauschen. Eine Minute verging, zwei. Er hatte das Gefühl, gleich den Verstand zu verlieren.
Plötzlich hörte er es: das ferne Echo eines Schreis. Die beiden Minen waren miteinander verbunden.
Er rannte den Stollen entlang, aus dem das Geräusch gekommen war, und die Taschenlampe enthüllte ihm eine Reihe von Luftschächten in der linken Wand. Er bog um eine Ecke, und der Lichtschein zeigte ihm zwei weitere Stollen -einer führte abwärts, der andere leicht bergan. Er blieb stehen, lauschte, wartete, seine Ungeduld steigerte sich ins Unermessliche – und dann hörte er einen weiteren verzerrten Ruf.
Wieder die Stimme des Mannes. Zornig.
Tom rannte den linken Stollen entlang und musste sich manchmal bücken, so tief hing die Decke. Weitere Laute trieben durch den Tunnel auf ihn zu, noch immer schwach, aber sie wurden allmählich deutlicher.
Der Stollen bog ein paar Mal scharf ab und mündete dann in eine Art Kammer, von der vier Tunnel in verschiedene Richtungen abzweigten. Schlitternd blieb er stehen, keuchte, schwenkte den Lichtstrahl hierhin und dorthin und entdeckte alte Schienenschwellen, einen kaputten Förderwagen, einen Haufen rostiger Ketten, von Ratten zernagte Hanfseile.
Er würde auf das nächste Geräusch warten müssen, bevor er weitergehen konnte.
Stille. Er würde jeden Moment den Verstand verlieren. Gebt einen Laut von euch, verdammt noch mal, irgendein Geräusch.
Und da war es: ein schwacher Schrei.
Wie der Blitz rannte er den Tunnel entlang, aus dem er ihn gehört hatte, doch der endete an einem senkrechten Schacht, umgeben von einem Geländer. Der Schacht war so tief, dass der Lichtstrahl der Taschenlampe nicht bis zum Boden reichte. Es gab keinen Weg hinunter – keine Leiter, kein Seil.
Er begutachtete die rauen Ränder des Schachts und beschloss, es zu wagen. Er riss sich die schicken italienischen Schuhe von den Füßen, warf sie mitsamt den Socken in den Schacht und zählte die Sekunden, bis sie unten aufschlugen. Anderthalb Sekunden: nur gut zehn Meter.
Er schob sich die Waffe in den Gürtel, nahm die Taschenlampe zwischen die Zähne, packte das Geländer, ließ sich über den Rand gleiten und stützte sich mit den nackten Füßen an den Wänden des Schachtes ab. Langsam, mit hämmerndem Herzen, kroch er abwärts.
Ein weiterer Fuß an die Wand gestemmt, ein weiterer Halt für die Hand. Sein Fuß rutschte ab, und einen entsetzlichen Augenblick lang glaubte er, er würde abstürzen. Der scharfkantige Fels zerschnitt ihm die Zehen. Quälend langsam kletterte er hinab, und endlich, zu seiner großen Erleichterung, spürte er festen Boden unter den Füßen. Er schwenkte den Lichtstrahl herum, sammelte Schuhe und Strümpfe ein und zog sie wieder an. Er befand sich in einem weiteren Minenstollen, der direkt in den Berg hineinführte. Er lauschte. Alles war still.
Er rannte den Stollen entlang und blieb nach hundert Metern stehen, um erneut zu lauschen. Die Taschenlampe schwächelte – die Batterien, die von Anfang an nicht besonders viel Saft gehabt hatten, würden bald leer sein. Er ging weiter, blieb stehen, lauschte. Hinter sich hörte er etwas, das wie ein erstickter Schrei klang. Er knipste die Lampe aus und hielt den Atem an. Es war eine Stimme, immer noch ein Stück entfernt, aber viel deutlicher als zuvor. Er konnte die Worte gerade so verstehen.
Ich weiß, dass du da oben bist. Komm runter, oder ich schieße.
Tom lauschte mit pochendem Herzen.
Hast du verstanden?
Eine Woge der Erleichterung riss ihn beinahe von den Füßen. Sally lebte – und war anscheinend sogar frei. Er spitzte die Ohren und versuchte festzustellen, aus welcher Richtung die Stimme kam.
Du bist tot, Miststück.
Diese Worte erfüllten ihn plötzlich mit einer so gewaltigen Wut, dass es ihm den Atem verschlug. Er ging ein Stück auf und ab und versuchte, die Richtung genauer zu bestimmen. Die Laute schienen von unten zu kommen, als würden sie aus dem Boden dringen. Aber das war unmöglich. Drei Meter links von sich
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