Der Canyon
mehr, keine Möglichkeit zu sehen, wohin sie kroch, keine Möglichkeit festzustellen, ob dieser Spalt überhaupt irgendwohin führte. Sie krabbelte weiter, schob sich mit Händen und Knien vorwärts. Einen Moment lang packte sie die klaustrophobische Panik, vom Fels zu beiden Seiten zerquetscht zu werden. Sie hielt inne, atmete ruhig und gleichmäßig, bezwang ihre Angst und machte weiter.
»Ich kriiieg dich!«
Er war direkt unter ihr. Sie kroch weiter mit dem grauenhaften Gefühl, dass die Spalte immer enger wurde. Bald war der Riss so schmal, dass sie sich hindurchzwängen musste; sie drückte sich mit Füßen und Knien vorwärts und musste ausatmen, um durchzukommen. Wieder loderte Panik in ihr auf, als ihr klar wurde, dass es kein Zurück gab – sie würde nicht umkehren können. Mit den Füßen konnte sie sich nur vorwärts schieben, aber niemals wieder zurück.
»Ich weiß, dass du da oben bist, Miststück!«
Sie hörte Steine poltern, als er begann, auf den Geröllhaufen zu klettern. Sie zog die Füße an, verdrehte den Oberkörper und schaffte es, einen Arm frei zu bekommen und hochzustrecken, um sich voranzutasten. Die Spalte schien nicht schmaler zu werden, sondern eher breiter. Wenn sie sich an dieser engen Stelle vorbeiquetschen konnte, würde diese Spalte sie vielleicht zu einem anderen Stollen führen.
Sie atmete aus, stemmte sich mit den Füßen gegen den Fels und schob sich tiefer hinein; die Brusttasche ihrer Bluse zerriss, die Knöpfe sprangen ab. Sie tastete vor sich. Noch ein kräftiger Schub, noch einmal ausatmen und sich dünn machen. Sie hielt inne und atmete flach. Es war, als würde sie erdrückt. Sie hörte unter sich weitere Steine zu Boden poltern; er kam voran.
Sie wappnete sich und schob sich mit einem mächtigen Stoß tiefer in die Spalte. Das Grauen, in der Dunkelheit erdrückt zu werden, war beinahe überwältigend. Wasser tropfte herab und lief ihr übers Gesicht. Jetzt war sie ganz sicher, dass sie niemals würde zurückkriechen können. Es wäre besser gewesen, sich erschießen zu lassen, als in dieser Felsspalte zu sterben. Wenn sie es nur durch diese enge Stelle schaffte – es könnte doch sein, dass der Spalt wieder breiter wurde. Sie stemmte sich gegen den Fels, stieß sich ab, und ihre Kleidung zerriss von der Wucht ihres Schubs. Noch einmal – und sie tastete mit der Hand vor sich her. Der Spalt schmolz auf ein Loch zusammen, kaum zwei Zentimeter breit. Sie tastete verzweifelt hierhin und dorthin, bewegte die Hand in alle Richtungen, so weit sie konnte, suchte nach einer breiteren Stelle – aber es gab keine. Sie versuchte es erneut, beinahe wahnsinnig vor Angst, aber es gab keinen Zweifel: Der Spalt verengte sich auf ganzer Breite zu einer Lücke von wenigen Zentimetern, von der viele kleine Risse ausgingen. Hin und her huschte ihre Hand, tastete, drückte, befühlte – aber es nützte nichts.
Unaussprechliches Grauen wallte in Sally auf, das sie einfach nicht mehr beherrschen konnte. Sie versuchte sich rückwärts hinauszuwinden, kämpfte, wand sich und bekam kaum noch Luft. Aber sie fand keine Möglichkeit, sich nach unten zu schieben, keinen Halt; ihre Arme waren nicht stark genug, um sie durchzuquetschen. Sie steckte fest. Es ging nicht weiter. Und auch nicht mehr zurück.
21
Tom versuchte alles, um das Schloss an dem Tor aufzubrechen. Er hämmerte mit Steinen darauf ein, rammte es mit einem Balken, aber es nützte nichts. Die schwachen Laute aus dem Inneren der Mine waren verstummt, und die Stille machte ihn wahnsinnig. Alles Mögliche könnte ihr passieren – eine einzige Minute könnte die Entscheidung zwischen Leben und Tod bedeuten. Er hatte gebrüllt, in den Stollen hineingeschrien und versucht, den Entführer abzulenken – es half nichts.
Er trat aus der Hütte und überlegte, was er tun sollte. Der Mond ging gerade über den Kiefern an der Kuppe des Hügels auf. Er zwang sich, ruhig zu atmen und versuchte zu denken. Er hatte vor Jahren ein paar dieser Minen erkundet und erinnerte sich, dass es noch andere Stolleneingänge in der Umgebung gab. Vielleicht gab es irgendwo eine Verbindung zwischen ihnen; Goldminen hatten oft mehrere Eingänge.
Er stieg zum Grat des Hügels auf und blickte auf der anderen Seite hinunter. Bingo. Etwa zweihundert Meter unter ihm stand eine weitere Hütte, etwa auf derselben Höhe, mit einer langen Reihe von Waschbergen, die sich die Flanke hinabzog.
Bestimmt waren die Stollen verbunden.
Er rannte den Hügel hinab,
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