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Der Canyon

Der Canyon

Titel: Der Canyon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas - Preston
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einflößende Maxwell Broadbent, war auch eine Art Schatzsucher gewesen – ein Grabräuber, Sammler und Händler seltener Artefakte. Er war zwar ein schwieriger Vater gewesen, doch sein Tod hatte in Toms Seele ein gewaltiges Loch hinterlassen. Der sterbende Schatzsucher mit seinem Bart und den durchdringenden blauen Augen hatte ihn sogar rein äußerlich an seinen Vater erinnert. Das war eine verrückte Assoziation, aber aus irgendeinem Grund war das Versprechen, das Tom dem Unbekannten gegeben hatte, für ihn unumstößlich.
    »Tom?«
    Tom blinzelte.
    »Du hast schon wieder diesen verlorenen Gesichtsausdruck.«
    »Entschuldige.«
    Sally trank ihren Kaffee aus, stand auf und wusch ihre Tasse ab. »Weißt du eigentlich, dass wir dieses Haus genau heute vor einem Jahr gefunden haben?«
    »Das hatte ich vergessen.«
    »Gefällt es dir immer noch?«
    »Es ist alles, was ich mir je gewünscht habe.«
    In der wilden Landschaft von Abiquiú am Fuß des Pedernal Peak hatten sie gemeinsam das Leben gefunden, von dem sie immer geträumt hatten: eine kleine Ranch mit Pferden, einem Garten, einem Reitstall für Kinder und Platz für Toms Großtierpraxis – ein ländliches Leben ohne die Hektik und den Schmutz der Stadt oder lange Pendelfahrten. Seine Pferdepraxis lief gut. Selbst die sturen alten Rancher riefen inzwischen bei ihm an. Er arbeitete fast ausschließlich im Freien, die Menschen waren großartig, und er liebte Pferde.
    Es war ein bisschen zu ruhig hier, das musste er zugeben.
    Seine Gedanken kehrten zu dem Schatzsucher zurück. Er und sein Notizbuch waren interessanter als die Aussicht darauf, irgendeinem widerspenstigen Gaul mit Bretthals und Rattenschwanz auf Gilderhus' Dude Ranch in Espanola – der Mann war für die Hässlichkeit sowohl seiner Pferde als auch seines Temperaments bekannt – einen Eimer voll Paraffinöl einzuflößen. Ein großer Vorteil daran, der Chef zu sein, lag darin, dass man die Drecksarbeit an seinen Angestellten delegieren konnte. Er tat das nicht oft, deshalb hatte er jetzt auch keine Gewissensbisse. Oder zumindest waren sie nicht allzu schmerzhaft …
    Wieder wandte er sich dem Notizbuch zu. Es war offensichtlich in einer Art Code verfasst. Lange Reihen von Zahlen in peinlich ordentlicher Handschrift bedeckten die Seiten. Es war nirgends etwas durchgestrichen oder überschrieben worden, keine Fehler, kein Gekritzel – als hätte der Verfasser das alles Zahl für Zahl irgendwo abgeschrieben.
    Sally stand auf und legte ihm den Arm um die Schultern. Ihr Haar fiel ihm ins Gesicht, und er sog den Geruch tief ein – frisches Shampoo und ihr ganz eigener Duft, der ihn an frisch gebackene Kekse erinnerte.
    »Versprich mir nur eines«, sagte sie.
    »Was denn?«
    »Sei vorsichtig. Was auch immer dieser Mann gefunden hat, war jemandem wertvoll genug, um dafür zu töten.«

7
    Melodie Crookshank, technische Assistentin, schob ihren Stuhl zurück und machte sich eine Cola auf. Sie trank einen Schluck und sah sich nachdenklich in ihrem Kellerlabor um. Nach ihrem Abschluss in Geophysikalischer Chemie an der Columbia University hatte sie sich eine völlig andere Karriere vorgestellt – sie wollte durch den Regenwald von Quintana Roo trekken, um den Chicxulub-Krater zu kartographieren, in der Wüste Gobi bei den legendären Flammenden Klippen kampieren und Dinosauriernester ausgraben oder mit einem Vortrag in makellosem Französisch ihre hingerissenen Zuhörer im Musée d'Histoire Naturelle in Paris beeindrucken. Stattdessen fand sie sich in diesem fensterlosen Kellerlabor wieder, wo sie langweilige Forschung für einfallslose Wissenschaftler durchführte, die sich nicht einmal ihren Namen merken konnten und von denen viele einen IQ hatten, der nur halb so hoch war wie ihrer. Sie hatte diese Stelle noch während der Promotion angenommen und sich gesagt, das sei ja nur ein Nebenjob, bis sie mit ihrer Dissertation fertig sei und eine glanzvolle wissenschaftliche Karriere eingeschlagen habe. Doch nun waren vier Jahre vergangen, seit sie den Doktorgrad erlangt hatte, und sie hatte Hunderte – ach was, Tausende – von Bewerbungen verschickt und kein einziges Angebot bekommen. Die Konkurrenz war brutal, jedes Jahr drängten sich sechzig neue Absolventen um ein halbes Dutzend Dozentenstellen wie bei einer »Reise nach Jerusalem« – wenn die Musik aufhörte, hatten die wenigsten einen Stuhl ergattert. Wie weit es mit ihr gekommen war, wurde ihr eines Tages klar, als sie die Todesanzeigen im Mineralogy

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