Der Canyon
beobachtete, wie sie sich mit dem Pferd drehte, ihm die Brust, die Seite, den Rücken und wieder die Seite zuwandte. Eine Brise ließ ihr langes blondes Haar flattern, und sie hob die Hand, um es sich aus dem Gesicht zu streichen. Herrgott, war die hübsch.
Er richtete das Fernglas auf das Kind. Es war behindert, mongoloid oder so.
Nun wandte er sich wieder dem Haus zu. Neben der Hintertür konnte er durch ein Panoramafenster in die Küche blicken. Im Ort hieß es, Broadbent sei stinkreich – aber so richtig. Maddox hatte gehört, Broadbent sei in einer Villa mit Personal und unbezahlbaren Kunstwerken aufgewachsen. Sein Vater war vor einem Jahr gestorben und hatte ihm angeblich hundert Millionen vererbt. Darauf würde man nie kommen, wenn man sich dieses Haus ansah. Nichts hier sah nach viel Geld aus, weder das Wohnhaus noch die Nebengebäude, die Pferde, der staubige Hof, der bescheidene Garten, noch der alte International Scout in der offenen Garage oder der Ford 350 Dually, der in einem separaten Carport stand. Wenn Maddox hundert Millionen hätte, würde er todsicher nicht in so einer Bruchbude wohnen.
Maddox nahm seinen Rucksack ab. Er holte sein Skizzenbuch und einen frisch gespitzten Künstler-Bleistift heraus und hielt so viel wie möglich von dem Haus und der Anlage auf einer Zeichnung fest. Zehn Minuten später kroch er an der Rückwand des Stalls entlang und durch dichtes Gestrüpp, um die Vorderseite und die Nebengebäude noch aus einem anderen Winkel zu skizzieren. Durch eine doppelte Verandatür betrachtete er ein bescheidenes Wohnzimmer. Dahinter lag eine gepflasterte Terrasse mit einem Kugelgrill und ein paar Stühlen, eingefasst von einem Kräutergarten. Kein Swimmingpool, nichts. Das Haus wirkte leer. Wie Maddox gehofft hatte, war Broadbent nicht da – jedenfalls stand sein 57er Chevy nicht in der Garage, und Maddox nahm an, dass niemand außer Broadbent dieses Schmuckstück fahren durfte. Er hatte nirgends einen Arbeiter oder Stallburschen gesehen, und der nächste Nachbar wohnte einen halben Kilometer entfernt.
Maddox stellte seine Skizze fertig und betrachtete sie gründlich. Das Haus hatte drei Eingänge: eine Hintertür zur Küche, die Haustür und die Terrassentüren. Falls alle Türen verschlossen waren – und davon ging er bei seiner Planung vorsichtshalber aus –, würden die Terrassentüren am einfachsten zu öffnen sein. Sie waren alt, und er hatte zu seinen besten Zeiten schon einige solcher Türen mit den Shims in seinem Rucksack geknackt. Dafür würde er nicht mal eine Minute brauchen.
Er hörte ein Auto und duckte sich. Gleich darauf kam der Wagen hinter dem Haus hervor, ein Mercedes Kombi, und hielt im Hof. Eine Frau stieg aus, ging zum Reitplatz hinüber und rief und winkte dem Kind auf dem Pferd zu. Das Kind winkte ebenfalls und stieß einen unverständlichen Laut der Freude aus. Das Pferd blieb stehen, und Broadbents Frau half dem Kind herunter. Der Kleine rannte zu der Frau hinüber und umarmte sie. Die Reitstunde war vorbei. Die beiden Frauen unterhielten sich noch ein wenig, dann stiegen der Junge und seine Mutter ins Auto und fuhren davon.
Broadbents Frau Sally blieb allein zurück.
Er beobachtete jede ihrer Bewegungen mit dem Fernglas, während sie das Pferd an einem Pfosten anband, absattelte und bürstete, wobei sie sich vorbeugte, um Bauch und Beine des Tiers zu striegeln. Als sie fertig war, führte sie das Pferd zu einem Paddock, ließ es frei, warf ein paar Hand voll Alfalfa in einen Futtertrog und ging dann zum Haus, wobei sie sich Alfalfa-Flocken von Oberschenkeln und Po wischte. Stand eine weitere Reitstunde auf dem Plan? Unwahrscheinlich – es war schon vier Uhr.
Sie betrat die Küche durch den Hintereingang und ließ die Fliegengittertür zuknallen. Gleich darauf sah er sie am Panoramafenster vorbeigehen; sie trat an den Herd und kochte sich Kaffee.
Es war so weit.
Er warf einen letzten Blick auf seine Skizze, bevor er das Buch wieder in seinen Rucksack stopfte. Dann packte er seine Ausrüstung aus. Zuerst schlüpfte er samt Schuhen in die grünen Chirurgen-Überschuhe, zog sich erst ein Haarnetz über den Kopf, dann eine Duschhaube. Darüber kam noch ein Nylonstrumpf. Es folgte ein billiger Plastik-Regenmantel, die Sorte, die man in einer kleinen Hülle für vier Dollar bekam. Er zog Latexhandschuhe an und nahm seine Glock 29 10 mm Auto, voll geladen 935 Gramm schwer, mit zehn Schuss im Magazin – eine sehr professionelle Waffe. Er wischte sie ab
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