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Der Canyon

Der Canyon

Titel: Der Canyon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas - Preston
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vielleicht ein, zwei Schritte über das rein Berufliche hinaus erweitern sollte – aber nein, so etwas war immer unberechenbar.
    Er schenkte ihr sein prachtvollstes Lächeln und nahm ihre Hand, die sich heiß anfühlte. »Melodie, es freut mich sehr, dass sie so großartig vorankommen.«
    »Ja, Dr. Corvus. Es ist – na ja, einfach unglaublich. Ich habe alles auf CDs gebrannt.«
    Er ließ sich auf einem Stuhl vor dem großen Flachbildschirm des Power Mac nieder. »Los geht's«, flüsterte er.
    Melodie setzte sich neben ihn, nahm die oberste CD von einem Stapel, öffnete die Hülle und schob die CD ins Laufwerk. Dann zog sie die Tastatur zu sich heran und legte los.
    »Hier haben wir zunächst einmal«, begann sie und klang nun ganz nüchtern, »einen Teil eines Wirbels mit fossilisiertem Körpergewebe und Haut von einem großen Tyrannosauriden, wahrscheinlich einem T-Rex oder einem abnorm großen Albertosaurus. Alles ist unglaublich gut erhalten.«
    Ein Bild erschien auf dem Monitor.
    »Sehen Sie sich das an. Das ist ein Hautabdruck.« Sie schwieg kurz. »Hier noch mal in größerem Maßstab. Sehen Sie diese dünnen parallelen Linien? Da sind sie noch mal mit dreißigfacher Vergrößerung.«
    Corvus überlief ein Schauer. Es war sogar noch besser, als er es sich erhofft hatte, viel besser. Er hatte das Gefühl, beinahe zu schweben. »Das ist der Abdruck einer Feder«, brachte er mühsam heraus.
    »Genau. Hier ist er: Der Beweis dafür, dass der T-Rex gefiedert war.«
    Das war eine Theorie, die vor einigen Jahren von einer Gruppe junger Paläontologen am Museum aufgestellt worden war. Corvus hatte die Theorie im Journal of Paleontology in der Luft zerrissen und als »seltsame amerikanische Einbildung« lächerlich gemacht, was ihm schiefe Blicke und antibritische Bemerkungen von seinen Kollegen am Museum eingebracht hatte. Und nun hielt er ihn in Händen: den Beweis dafür, dass sie doch Recht hatten, und er Unrecht. Das unangenehme Gefühl, einen Irrtum revidieren zu müssen, wich rasch vielschichtigeren Emotionen. Dies war eine Gelegenheit … eine sehr seltene Gelegenheit. Er konnte ihnen ihre Theorie stehlen und dabei offen der Welt gegenübertreten und zugeben, dass er sich geirrt hatte. Die absolute Vereinnahmung – im Mäntelchen falscher Bescheidenheit.
    Genau so würde er es machen.
    Mit diesem Beweis in der Hand würden sie ihm die Festanstellung geben müssen. Aber dann würde er sie gar nicht mehr brauchen, nicht wahr? Denn er könnte eine Stellung haben, wo immer er wollte – sogar am British Museum. Vor allem am British Museum.
    Corvus merkte erst jetzt, dass er den Atem angehalten hatte, und stieß ihn aus. »Ja, in der Tat«, murmelte er. »Der alte Herr war also doch gefiedert.«
    »Es wird noch besser.«
    Corvus zog die Brauen in die Höhe.
    Sie drückte auf eine Taste, und ein weiteres Bild erschien. »Hier ist eine polarisierte Abbildung des fossilisierten Muskelgewebes unter dem Lichtmikroskop, hundertfache Vergrößerung. Es ist natürlich vollständig versteinert, aber dieses Fossil muss das besterhaltene sein, das je untersucht wurde – man sieht, wie feinkörnige Kieselsäure das Zellgewebe ersetzt hat, sogar die Organellen, und so dieses perfekte Bild festgehalten hat. Was wir hier sehen, ist tatsächlich die Muskelzelle eines Dinosauriers.«
    Corvus brachte kein Wort heraus.
    »Ja.« Wieder gab sie etwas ein. »Hier die fünfhundertfache Vergrößerung … Sehen Sie, da ist der Zellkern.«
    Klick.
    »Mitochondrien.«
    Klick.
    »Und das – Golgi-Apparat.«
    Klick.
    »Ribosomen –«
    Corvus streckte die Hand aus. »Halt. Einen Moment.« Er schloss die Augen, atmete tief durch und öffnete sie wieder. »Bitte warten Sie einen Moment.«
    Er stand auf, stützte sich an der Stuhllehne ab und holte tief Luft. Der Augenblick des Schwindels ging vorüber, und er war eigenartig wachsam geworden. Er blickte sich im Labor um. Es war still wie in einer Gruft, nur das schwache Zischen der Luftumwälzung und der surrende Ventilator des Computers waren zu hören, und es roch nach Epoxidharz, Plastik und heißer Elektronik. Alles war genau wie zuvor -und dennoch hatte sich die Welt soeben verändert. Die Zukunft stand ihm vor Augen – die Preise, der Bestseller, die Vortragsreisen, das Geld, der Ruhm. Der Titel »Kurator« war nur der Anfang.
    Er blickte auf Crookshank hinab. Sah sie es auch? Sie war nicht dumm. Sie dachte an dieselben Dinge, stellte sich vor, wie sich ihr Leben gerade verändert

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