Der Canyon
und Dran. Man kann sie sogar abspielen. Natürlich alles rein theoretisch. Nichts von alledem muss tatsächlich passiert sein.« Er hielt inne und stieß den Atem aus.
»Das klingt doch toll«, sagte Tom.
»Ja, es war toll – bis sie meine Frau, die zufällig gerade mit unserem ersten Kind schwanger war, mit einer Autobombe in die Luft gesprengt haben.«
»O Gott–«
»Schon gut, Tom«, sagte er hastig. »Ich muss es Ihnen sagen. Als das passiert ist, bin ich einfach aus jenem Leben davongelaufen und in dieses hier hineinspaziert. Ich kam hier an mit nichts als den Kleidern, die ich am Leib trug, meinem Autoschlüssel und meiner Brieftasche. Bei der erstbesten Gelegenheit habe ich die Brieftasche und den Schlüssel in eine endlos tiefe Felsspalte oben im Chavez Canyon geworfen. Meine Konten, mein Haus, mein Wertpapierdepot – ich weiß nicht einmal, was aus alldem geworden ist. Eines Tages werde ich ein braver Mönch sein und es den Armen schenken.«
»Niemand weiß, dass Sie hier sind?«
»Jeder weiß, dass ich hier bin. Die CIA hatte Verständnis. Ob Sie es glauben oder nicht, Tom, bei der CIA zu arbeiten, war gar nicht übel. Die meisten Leute sind in Ordnung. Julie – meine Frau – und ich, wir kannten die Risiken. Wir wurden gemeinsam am MIT rekrutiert. Diese Personalakten, die ich kopiert hatte, haben eine Menge ehemaliger Folterer und Mörder der Roten Khmer entlarvt. Das war gute Arbeit. Aber für mich …« Seine Stimme erstarb. »Für mich war das Opfer zu groß.«
»Lieber Gott.«
Ford hob mahnend den Zeigefinger. »Sie sollten den Namen Gottes nicht unnütz im Munde führen. Jetzt habe ich es Ihnen also erzählt.«
»Ich weiß kaum, was ich sagen soll, Wyman. Es tut mir leid – aufrichtig leid für Sie.«
»Sie brauchen gar nichts zu sagen. Ich bin nicht der einzige leidende Mensch auf der Welt. Das Leben hier ist gut. Wenn man sich die Befriedigung seiner Bedürfnisse verweigert, indem man fastet, in Armut und im Zölibat lebt und schweigt, dann kommt man dadurch etwas Ewigem näher. Nennen Sie es Gott oder wie Sie wollen. Ich habe wirklich Glück gehabt.«
Ein langes Schweigen entstand. Schließlich fragte Tom: »Und was hat das mit Ihrer Idee zu tun, dass wir den Dinosaurier suchen sollten? Ich habe versprochen, das Notizbuch Robbie, der Tochter des Toten, zu übergeben – mehr nicht. Meiner Meinung nach gehört der Dinosaurier ihr.«
Ford tippte mit dem Finger auf die Tischplatte. »Ich sage Ihnen das sehr ungern, Tom, aber das gesamte Land da draußen – die Mesas, die Badlands und die Berge dahinter – gehört dem Bureau of Land Management. Mit anderen Worten, dem Staat. Das ist unser Land. Dem amerikanischen Volk gehört dieses Land mit allem, was sich darauf und darin befindet, den Dinosaurier eingeschlossen. Verstehen Sie, Tom? Ihr Mann war nicht nur Dinosaurierjäger. Er war ein Dinosaurier dieb .«
23
Dr. Iain Corvus drehte leise den Knauf an der metallenen Tür mit der Aufschrift MINERALOGISCHES LABOR und betrat lautlos den Raum. Melodie Crookshank saß mit dem Rücken zu ihm an einem der Arbeitsplätze und tippte. Ihr kurzes braunes Haar wippte bei jeder Bewegung.
Er schlich sich an sie heran und legte ihr sacht eine Hand auf die Schulter. Sie schnappte nach Luft und schrak zusammen.
»Sie haben unsere kleine Verabredung doch nicht vergessen, oder?«, fragte Corvus.
»Nein, aber Sie haben mich erschreckt.«
Corvus lachte leise, drückte leicht ihre Schulter und ließ die Hand dort liegen. Er spürte ihren Herzschlag durch den Laborkittel. »Ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie bereit waren, länger zu bleiben.« Und er freute sich zu sehen, dass sie das Armband trug. Sie war hübsch, aber auf diese athletische und wenig glamouröse amerikanische Art, als gehörte es zum Berufsbild einer ernsthaften Akademikerin, kein Make-up zu tragen und möglichst selten zum Friseur zu gehen. Aber sie hatte zwei wichtige Eigenschaften: Sie war diskret, und sie war allein. Er hatte ein paar unauffällige Nachforschungen angestellt. Sie war ein Produkt der Columbia-Akademikerschleuder, die sehr viel mehr junge Leute mit Doktortitel produzierte, als jemals gebraucht wurden; ihre Eltern waren tot, sie hatte keine Geschwister, kaum Freundinnen, keinen festen Freund und so gut wie kein Privatleben. Obendrein war sie kompetent und so begierig darauf, sich zu beweisen.
Sein Blick fiel auf ihr Gesicht, und er sah mit Freude, dass sie errötete. Er fragte sich, ob er ihre Beziehung
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