Der Canyon
der Computer sogar die Stelle, an welche die CI weitergereicht werden sollte – sofern Muzinsky sie entsprechend einstufte –, da gewisse Behörden anscheinend nach ganz bestimmten geheimnisvollen Dingen lauschten. Aber von zwei- oder dreitausend Unterhaltungen, die er belauschte, gab er nur etwa eine CI weiter. Die meisten gingen an diverse Unterabteilungen der NSA oder der Heimatschutzbehörde. Andere schickte er ans Pentagon, das State Department, FBI, CIA, ATF, INS und eine ganze Reihe anderer kryptischer Abkürzungen, deren bloße Existenz zum Teil schon geheim war. Muzinsky musste jede CI der richtigen Behörde zuordnen, und das schnell. Eine CI durfte niemals im System herumirren und vergeblich nach ihrem Zuhause suchen. Genau so etwas hatte zu den Ereignissen vom elften September geführt. Die erfassenden Stellen waren nun darauf getrimmt, sich sofort mit eingegangenen relevanten Informationen zu befassen, nötigenfalls sogar binnen weniger Minuten nach deren Eintreffen. Das war eine der Lektionen des elften September gewesen.
Aber Muzinsky hatte mit diesen Dingen nichts zu tun. Wenn die CI erst einmal seine Kabine verlassen hatte, war sie für immer fort.
Muzinsky saß am Terminal in seiner verschlossenen, schalldichten Kabine, den Kopfhörer auf den Ohren, und drückte auf BEREIT, um dem Computer zu sagen, dass er die nächste CI annehmen konnte. Der Computer schickte ihm keinerlei Vorab- oder Hintergrundinformation zu dem Anruf, nichts, was seine Gedanken in Bezug auf das, was er gleich hören würde, beeinflussen könnte. Es fing immer mit der nackten CI an.
Ein Zischen, und es ging los. Man hörte ein Anrufsignal, ein Antwortsignal, ein dumpfes Knacken, eine atemlose Meldung am anderen Ende, und dann begann das Gespräch:
»Melodie? Wie laufen die Untersuchungen?«
»Großartig, Dr. Corvus, ganz großartig.«
8
Kurz vor der Abzweigung zur Forststraße, die nach Perdiz Creek führte, bremste Maddox und fuhr ein Stück seitlich vom Highway ab. Hinter ihm waren Scheinwerfer erschienen, und bevor er hier abbog, wollte er sich vergewissern, dass es nicht Broadbents Wagen war. Er schaltete das Licht aus und wartete ab, bis der Wagen an ihm vorbeikam.
Ein Pick-up raste mit hoher Geschwindigkeit heran, wurde ein wenig langsamer und sauste dann vorbei. Maddox atmete erleichtert auf – es war nur irgendein verbeulter alter Dodge. Er ließ den Wagen an, bog auf die Forststraße ein, ratterte über das Viehgitter und fuhr die holprige, unbefestigte Straße entlang; innerlich jubelte er. Er kurbelte das Fenster herunter, um frische Luft einzulassen. Es war eine kühle, duftende Nacht, und die Sterne schimmerten über den dunklen Schemen der Mesas. Sein Plan war aufgegangen: Er hatte das Notizbuch. Jetzt konnte ihn nichts mehr aufhalten. Wenn Broadbent die Entführung seiner Frau gemeldet hatte, würde es in der Gegend ein paar Tage lang von Polizisten wimmeln, Maddox jedoch würde völlig sicher oben im Camp sitzen und an seinem Roman arbeiten … Und falls sie doch kamen, um ihn zu befragen, würden sie nichts finden – keine Leiche, gar nichts. Nein, ihre Leiche würden sie nie finden. Er hatte bereits die perfekte Stelle gefunden, um sie loszuwerden, einen tiefen, mit Wasser gefüllten Schacht in einer der oberen Minen. Die Decke des Ganges stützten morsche Balken, und nachdem er die Leiche in den Schacht geworfen hatte, würde er einen kleinen Sprengsatz zünden und die Decke einstürzen lassen – und das war's dann. Sie würde völlig vom Erdboden verschluckt sein.
Er sah auf die Uhr: zwanzig vor zehn. In einer halben Stunde würde er wieder in Perdiz Creek sein, und er hatte etwas, worauf er sich freuen konnte.
Morgen würde er Corvus von einer Telefonzelle aus anrufen und ihm die gute Nachricht überbringen. Er warf einen Blick auf sein Handy und war versucht, ihn jetzt gleich anzurufen – aber nein, er durfte jetzt keinen Fehler machen, keinerlei Risiko eingehen.
Er beschleunigte, und der Wagen schlingerte über den löchrigen Waldweg, der nun über einige kleine Hügel anstieg. Nach zehn Minuten hatte er das Gebiet erreicht, wo die Piñon-Kiefern und der Wacholder den hohen Gelb-Kiefern wichen, die dunkel und rastlos im nächtlichen Wind rauschten.
Schließlich erreichte er das Tor in dem hässlichen Maschendrahtzaun, der das Anwesen umgab. Er stieg aus, schloss das Tor auf, fuhr hindurch und schloss hinter sich wieder ab. Noch ein paar hundert Meter, und er war am Haus angekommen. Der
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