Der Cartoonist
selbst zutiefst erschreckte. Scott
wurde sich jäh bewusst, dass er nur deshalb in Kaths Zimmer gegangen war, um
nachzusehen ... sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich dort war. Sicher
war das verrückt: Er hatte sich noch immer nicht aus diesem verrückten,
bedrückenden Traum gelöst
Unten in der
Küche bereitete sich Scott ein leichtes Frühstück, das aus Toast und Kaffee
bestand, danach polterte er zurück nach oben, um zu duschen und sich zu
rasieren, wobei er viel lauter war als nötig. Als er feststellen musste, dass
der Lärm seiner Waschrituale weder Frau noch Tochter aufgeweckt hatte, spürte
er einen kleinen Anflug von Enttäuschung. Einen Augenblick lang kam ihm die
wunderbare, aufmüpfige Idee, sich krankzumelden, einfach blauzumachen. Er würde
zurück ins Bett krabbeln und dann zusammen mit seinem kleinen Freund Krista
wecken. Schließlich hatte er heute Geburtstag.
Doch schon
wandte sich die Stimme seines Gewissen mit der üblichen Unnachgiebigkeit gegen
die süße Versuchung. Es würde heute ein harter Tag im Klinikum werden -
zumindest bis vierzehn Uhr. Danach würde er den Babysitter für eine Gruppe
Medizinstudenten spielen müssen. Für diesen zusätzlichen Stressfaktor konnte er
kein Mitgefühl erwarten. Jedes Jahr versprach er sich selbst aufs Neue, die
Dozentenstelle an der Universität zu kündigen, und jedes Jahr nahm er lächelnd
die Wiederernennung entgegen.
Widerwillig
beschloss er, sich zusammenzureißen und seinen Pflichten nachzukommen.
Schließlich wartete heute Abend noch eine >Überraschungs<-Party auf ihn.
Die Vorfreude versetzte ihn jetzt schon in Hochstimmung und gab ihm neue
Energie. Krista
arrangierte jedes Jahr irgendeine Art von Geburtstagsfete für ihn, und er sah
keinen Grund, warum sein siebenunddreißigster Geburtstag (»du alter Knacker«,
neckte ihn seine innere Stimme) eine Ausnahme bilden sollte. Scott genoss diese
Gewissheit Jahr für Jahr und ertappte sich dabei, wie er voller Erwartung vor
sich hin grinste. Was nicht heißen sollte, dass Krista Bowman völlig
berechenbar war. Zwar war sie stets liebevoll, besorgt, mütterlich und sexy -
aber in anderer Hinsicht war nie vorherzusagen, was Mrs. Drapers jüngste
Tochter, Krista Marie, als Nächstes anstellen oder auf die Beine stellen würde.
Und das machte einen Grundzug ihres Charakters aus.
An der
Haustür, kurz bevor er sich auf den zwanzig Minuten langen Weg zum Health
Sciences Center in Ottawa machte, überkam Scott der überwältigende Drang, laut
loszubrüllen und damit das ganze Haus zu wecken, vielleicht auch den ganzen
See. Aber er blieb standhaft. Stattdessen ging er zur Garage hinüber, stieg in
den Wagen und legte eine Kassette ein. Während er auf dem Schotterweg den Hügel
hinauffuhr, versuchte er, sich die abendliche Party vorzustellen. Bestimmt
würden sie viel Spaß miteinander haben.
Aber das
bedrückende Gefühl, das der Traum in ihm ausgelöst hatte, das merkwürdige
Gefühl einer bösen Vorahnung wollte und wollte nicht verschwinden. Es
begleitete ihn fast den ganzen Tag hindurch, als habe er leichtes Fieber.
2
Nachmittags
gegen halb fünf hatte Scott den frühmorgendlichen Traum und die Mordsangst, die
er ihm eingejagt hatte, nahezu vergessen. Während er auf dem Krankenhausflur
der Station »Two Link< mit seinen Studenten sprach, waren seine Gedanken
mehr oder weniger schon zu Hause auf der Sonnenterrasse, wo er sich später
gemütlich entspannen und in Ruhe sein Bierchen schlürfen würde, so herrlich
kalt, dass
man es kaum in
den Händen halten konnte. Ihm war heiß, und durch die stickige Luft der
psychiatrischen Abteilung für chronisch Kranke drang ein nicht gerade
angenehmer Geruch. Dicht gedrängt standen in Hufeisenform sechs Studenten in
strahlend weißen, gebügelten Praktikantenkitteln um ihn herum, die ihm
wissbegierig zuhörten. Sie waren auf ihrer Visite bereits bei fünf Patienten
gewesen und die Fälle kurz durchgegangen. Scott war der Meinung, damit sei es
mehr als genug für heute. Die letzte Patientin würde Mrs. Stopa sein. Er
lockerte seine Krawatte und begann mit der abschließenden Anamnese.
»Mrs. Stopa
ist dreiundneunzig Jahre alt .« Scott griff nach der
Hand der alten, benommenen Polin, die vor ihm auf der Untersuchungsliege saß.
»Sie hat eine Form von gewöhnlicher Altersdemenz - >altersbedingter Verfall«
ist der Begriff, den das Lehrbuch verwendet« Das Lehrziel für den heutigen
Nachmittag bestand darin, die Studenten an die Freuden des
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