Der Cartoonist
Besser, ich verschwinde auf der Stelle und fahre nach Danvers
zurück , zum Krankenhaus, zu meinem Kind,
zu dem Einzigen, das in meinem Leben noch etwas bedeutet.
Wie unter einem
Zwang sah Scott erneut zur Tür. Mit den Jahren hatte sie sich gewölbt, und der
Rahmen war so schräg verzogen wie das gesamte Gebäude. Eigentlich hätte sie
sich nach innen öffnen müssen, aber als Scott es probierte, kreischte sie laut
auf, weil Holz auf Holz rieb, und verklemmte sich dann. Mit eingezogenem Bauch
gelang es ihm, sich durch den Spalt zu quetschen.
Er fand sich
in einer verstaubten, düsteren Küche wieder, in der man kaum etwas sehen
konnte, weil nur vom angrenzenden Gang her diffuses, graues Licht hineindrang.
Früher einmal war der Boden mit Linoleum im Schachbrettmuster ausgelegt
gewesen, aber inzwischen war es größtenteils abgeblättert und gab den Blick auf
die Holzbohlen frei. Von staubigen Spinnweben überzogen, lagen überall leere
Whisky-Flaschen herum. In der Ecke stand ein Holzofen, daneben lag ein
umgekippter Küchentisch aus Chrom und Kunststoff. Es gab nur ein einziges
Fenster, das sich über der Spüle befand, und das war mit Holzbrettern
verschalt.
Hau ab, drängte ihn
sein Verstand. Mach, dass du hier weg kommst. Verschwinde!
Mit gesenktem
Kopf und weichen Knien trat Scott auf den schmalen, düsteren Gang hinaus, in
dem Girlanden von Spinnweben schaukelten. Die Schräglage von Boden und Wänden
nahm ihm die sowieso schon beeinträchtigte Orientierung, so dass ihm alles
bizarr und unwirklich vorkam. Er fühlte sich wie in einem Spiegelkabinett, das
die Perspektiven verzerrt
Scott bewegte
sich so vorsichtig, als seien ihm Verfolger auf den Fersen. Unter seinen Füßen
knackten lose Holzbohlen, knirschten Glasscherben. Hinter den mit Mörtel
verputzten, rissigen Wänden huschte irgendetwas hin und her - vielleicht auf
der Flucht vor ihm, vielleicht auch nicht Als er auf halbem
Weg die Hände
ausstreckte, blieben unzählige Spinnweben daran hängen. Überall klebten die
Hüllen toter Insekten in der grauen Masse.
Schritt für
Schritt schob er sich zu dem Rechteck schwachen Lichts an der Stelle vor, wo
sich der Gang zur Treppe hin weitete und der Eingang zum Wohnzimmer lag. Als er
nach links in den überwölbten Gang schwenkte, stieß er mit dem Zeh gegen etwas
Hartes. Was folgte, war eine kurze, aber laute Kettenreaktion: Eine gelockerte
Holzbohle, die sich wie ein Schlagbaum quer über den Treppenaufgang gelegt
hatte, stürzte auf einen Tragbalken, so dass beides, viel Staub aufwirbelnd,
mit Donnerhall zu Boden krachte.
Danach
herrschte völlige Stille, bis auf den Dauerregen, der gegen die zerbrochenen
Fensterscheiben klatschte. Es dauerte eine Weile, bis sich der uralte Staub
wieder gelegt hatte. In dichten Schwaden wirbelte er wie Abendnebel über einem
Moor durchs Zimmer. Nach und nach drang das spärliche Licht, das durch die
Sprossenfenster sickerte, wieder hindurch und verlieh den Gegenständen in
seinem Umkreis einen bläulich-weißen Schimmer.
Mitten an der
hinteren Wand, wegen der Staubschwaden kaum zu erkennen, wölbte sich ein
niedriger Bogen, der von der Form her an eine venezianische Brücke erinnerte.
Darunter gähnte ein schwarzes Loch. Zuerst dachte Scott, es sei nur irgendein
zufällig symmetrischer Schaden an der Wand. Aber als er näher heranging, sah
er, dass die Wand nicht beschädigt war, sondern dass dort tatsächlich eine
Öffnung klaffte, die Öffnung eines riesigen Kamins, die das Maul eines in Stein
gemeißelten Löwen darstellte. Der massive, gewölbte Rachen des Königs der Tiere
wirkte so, als habe er den ganzen Raum verschlucken wollen und sei in diesem
Moment erstarrt.
Und Scott
hatte genau das schon mal irgendwo gesehen.
Das Zimmer,
den Löwen, die ganze Szenerie.
Aber wo?
Gleich darauf
fiel es ihm plötzlich wieder ein. Der Zeichner. Die Serie von Zeichnungen, die
der Alte - fast vorsätzlich, wie
es Scott
damals vorgekommen war - bei ihrer ersten Begegnung am Freitagnachmittag hatte
zu Boden fallen lassen
Dieser
Kamin, dieser Raum und ...
Die Holzbohlen
des Fußbodens. In dieser Serie von Cartoon hatte ein Mann
die Holzbohlen aufgehackt. Und entdeckt dass ...
Mit vor Angst
weichen Knien stolperte Scott durch den schiefen Gang zurück. Dabei nervten ihn
die Fetzen von Spinnweben, die ihm an den Armen und im Gesicht hängen blieben.
Als er um die Ecke gebogen war und in die Küche trat, stieß er mit dem Ellbogen
an ein Regal voller Tontöpfe, die alle
Weitere Kostenlose Bücher