Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Cartoonist

Der Cartoonist

Titel: Der Cartoonist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Costello
Vom Netzwerk:
herunterfielen und auf dem Fußboden
zerschellten.
    Mit
zusammengekniffenen Augen suchte er jeden Winkel des voll gestopften Raumes ab,
stieß dabei irgendwelche Gegenstände um oder schob sie auf die Seite. In der
Holzkiste neben dem Ofen fand er schließlich, was er gesucht hatte. Eine Axt.
    Sofort eilte
er ins vordere Zimmer zurück und schwang dabei die Axt über dem Kopf. Wie im
Fieberwahn holte er zum ersten gewaltigen Schlag aus.
    Als die
Holzbohlen unter der Wucht dieses Schlages zersplitterten, merkte er, wie ihn
die letzten Reste klaren Verstandes verließen. Beim nächsten Schlag drang ein
primitives Brüllen aus seinem Mund. Er beugte sich hinunter, um sein
Zerstörungswerk zu inspizieren. Der Staub stieg in solchen Schwaden auf, dass
er kaum noch atmen konnte. Wie Blut, das in kaltes Wasser rinnt, wirbelten die
Staubwolken durch die Lichtbahnen, die vom Fenster aus ins Zimmer drangen.
Scott ließ seine ganze Seelenqual, das Gefühl von Verlust und die Wut am
Fußboden aus, den er mit dem verrosteten Blatt der Axt bearbeitete. Sein Atmen
verwandelte sich in ein raues Hecheln, das an die Geräusche einer Maschine
erinnerte. Der Staub hatte seine Kehle so ausgedörrt, dass sie schmerzte.
    Mühelos ließen
sich die alten, verwitterten Holzbohlen lösen. Irgendwann geriet Scott ins
Stolpern, und dabei fiel
    die Axt in den
breiten Spalt im Fußboden, der einem ausgehobenen Grab ähnelte. Als er sich
bückte, um nach der Axt zu greifen, flatterte eine im Schlaf aufgeschreckte
Fledermaus heraus und schoss an ihm vorbei, mitten durch die Staubschwaden.
Ohne darauf zu achten, setzte Scott sein Zerstörungswerk fort, wahrend Tränen
an seinen staubigen Wangen herunterrannen und dort Spuren hinterließen.
    Nachdem die
Luft sich aufgeklart hatte und wieder trübes Licht in den Raum sickerte, war
der halbe Fußboden aufgerissen. Jetzt stießen Scotts Füße gegen etwas
Trockenes, Brüchiges - und dabei fielen ihm die letzten Cartoons der makabren
Serie ein.
    Die Gestalt
auf der Zeichnung hatte einen mumifizierten Leichnam entdeckt, dessen Herz von
einem Fleischermesser durchbohrt war. Die toten Finger hatten etwas Flaches an
die Brust gedrückt.
    Und genau das
befand sich unter seinen Füßen.
    Scott griff
hinunter und löste das Bündel aus den verdorrten Armen, die es umklammerten.
Als er die Augen in den eingesunkenen Höhlen sah, die wie aus dem Schädel
gelöste Eiskugeln wirkten, fiel ihm Dr. Holley ein: Ist sie das? Ist das
Ihre Frau?
    Das Bündel
bestand aus einer Decke, die ein Buch umhüllte. Es war ein großes Sammelalbum
aus weichem Material, ähnlich den Mappen, die Scott in der Schulzeit dazu
benutzt hatte, Unterlagen für bestimmte Klassenprojekte, etwa Zeitungsausschnitte
oder Fotos, zu sammeln und dort einzukleben. Als er das Bündel auswickelte,
zerbröselte der Stoff unter seinen Händen. Es blieben nur Fetzen zurück, die
nach Schimmel und Moder stanken.
    Er verlagerte
seine Position so, dass er den Rücken dem Fenster zuwandte, und setzte sich auf
den Rand der Grube. Dabei fiel sein Blick auf ein schwach glänzendes Stück
Metall in den Tiefen des hohlen Brustkorbs. Als er sich näher
    darüber
beugte, entdeckte er ein Fleischermesser aus rost freiem Stahl, das sich
bis in die Wirbelsäule des Leichnams gegraben hatte. Auf der Schneide war etwas aufgespießt, was wie eine Dörrpflaume aussah, ein Gewebeknoten, der
früher einmal ein menschliches Herz gewesen war.
    Während das
Album aufgeschlagen auf seinen Knien lag blickte Scott mit zusammengekniffenen Augen auf das Foto das auf der ersten Seite klebte. Es war
ein verblichenes Polaroidfoto, aufgenommen im Garten; im Hintergrund waren die
Schaukel und die Trauerweide zu erkennen. Ein blasses Mädchen mit silbernem
Haar stand neben einem großen, grinsenden Mann, dem es bis zur Hüfte reichte.
Der Mann war sicher schon über siebzig und hatte äußerst eindrucksvolle dunkle
Augen - Augen, die eher wie Knöpfe aussahen ...
    Die Worte, die
irgendjemand mit blauer Tinte darunter geschrieben hatte, waren kaum noch
lesbar - so als hätten Zeit und Fäulnis ihr Vernichtungswerk gerade noch so
lange aufgeschoben, bis irgendjemand dieses von einem Leichnam bewachte Bündel
fand. Die sorgfaltig gemalte Bildunterschrift lautete: OPA UND MARISSA ROWE.
MISSYS 10. GEBURTSTAG, 11. JULI 1972. Der Zeichner ... der Alte war
der Großvater des Kindes. Scott, der sich so fühlte, als häute ihn jemand bei
lebendigem Leib, schlug die Seite um und versuchte, den

Weitere Kostenlose Bücher