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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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nahm er seinen Mantel – und da er genügend Orientierungsvermögen besaß, gelang es ihm, den Ausgang zu finden. Er kehrte in die Wirtschaft »Zur Sonne« zurück. Im Gastzimmer brannte noch Licht, aber der Wachtmeister sehnte sich nach Einsamkeit. Darum suchte er das Zimmer auf, in dem der ermordete Farny James gehaust hatte. Ein zweites Bett war aufgeschlagen worden. Ludwig Farny, das Knechtlein von Amriswil, schlief darin den Schlaf des Gerechten, das heißt, es schnarchte unerhört. Der Wachtmeister gab ihm eine Kopfnuß, der Bursche fuhr auf, erschreckt, seine Haare, gelb wie Roggenstroh, standen wirr von seinem Kopfe ab, und das Blau seiner weitaufgerissenen Augen leuchtete, leuchtete…
    Brummig sagte der Wachtmeister zu seinem Schützling: »Wenn du so schnarchst, kann ich nicht schlafen!«
    »Entschuldiget, Herr Studer… aber ich schnarch immer, wenn ich müd' bin…«
    »So leg dich auf die Seite! Wenn man auf dem Rücken liegt, schnarcht man immer!«
    Gehorsam kehrte Ludwig sein Gesicht der Wand zu und war nach kaum einer Minute wieder eingeschlafen. Nach zwei Minuten begann das Schnarchen von neuem und tönte wie das Kreischen einer Waldsäge… Studer zog sich aus, dumpfe Flüche murmelnd; dann, bekleidet mit einem Flanellpyjama, Lederpantoffeln an den Füßen, inspizierte er noch einmal das Zimmer; die Wände waren mit Holz getäfelt. Jede Latte untersuchte der Wachtmeister – aber er fand nichts. Endlich kroch er ins Bett, denn ihn fror. Vor dem Einschlafen brummte er noch: »Auf alle Fälle ist der Farny nicht in diesem Zimmer erschossen worden, sonst hätt' ich die Kugel gefunden.«
    Einige Minuten noch störte ihn das Schnarchen seines Helfers. Dann hörte er auch dieses nicht mehr und schlief ein, den mageren Kopf auf die rechte Hand gebettet.

Atmosphäre Nr. 3
    Wenn Studer in späteren Zeiten die Geschichte des ›Chinesen‹ erzählte, nannte er sie auch die Geschichte der drei Atmosphären. »Denn«, sagte er, »der Fall des ›Chinesen‹ hat in drei verschiedenen Atmosphären gespielt: in einem Dorfwirtshaus, in einer Armenanstalt, in einer Gartenbauschule. Darum nenn' ich den Fall manchmal die Geschichte der drei Atmosphären.«
    Am nächsten Morgen war die dritte Atmosphäre fällig, die Gartenbauschule. Zuerst frühstückte Studer mit seinem zufälligen Gehilfen Ludwig Farny und machte sich dann mit diesem auf den Weg, um dem Direktor Sack-Amherd einen Besuch abzustatten. Es gelüstete ihn, die Bekanntschaft Ernst Äbis zu machen, der des ›Chinesen‹ zweiter Neffe war.
    In der Nacht hatte das Wetter umgeschlagen; der Föhn wehte. Sehr klar war der Hügelabhang auf der andern Seite des Tales; die Blätter einiger Birken glänzten in der Sonne wie Goldstücke, und purpurn funkelte der Laubwald in seinem Rahmen von dunkelgrünen Tannen.
    Als er das Grundstück der Gartenbauschule betrat, merkte er, daß hier anders gewirtschaftet wurde. Obwohl der Kies zu Haufen lag – damit er wegen der Feuchtigkeit des Winters nicht in die Erde getreten wurde –, merkte man es den Wegen doch an, daß sie über einem Steinbett angelegt worden waren. In der Ferne surrte eine Bodenfräse; neben einer Steinmauer breitete sich eine Zwergobstpflanzung aus, in der eine Gruppe von Schülern stand… Studers Ankunft brachte Erregung unter sie, der Wachtmeister glaubte Tuscheln und Schwätzen zu hören. Aber unentwegt schritt er vorwärts – fünfzig Meter – dreißig Meter – da hörte er eine bekannte Stimme: »Dort gibt's nichts zu sehen! Wir haben jetzt Stunde! Hier müßt ihr aufpassen!«
    Studer erkannte den Sprecher: Herr Direktor Sack-Amherd trug einen mit Pelz gefütterten Mantel – und auch der Kragen war aus Pelz, sowie die Mütze –, die Hände steckten in gefütterten Lederhandschuhen. Über den Schuhen trug er Galoschen, und seine Hosen waren tadellos gebügelt. In der Hand hielt er eine blitzend vernickelte Baumschere, mit der er hier und dort ein Ästlein abzwickte.
    »Beim Pyramidenschnitt habt ihr vor allem darauf zu sehen, daß die Konstruktion, daß der Aufbau des Baumes nicht leidet. Natürlich gibt es Gärtner, die drauflos schneiden, so, wie es ihnen gerade in den Sinn kommt. Das nenne ich nicht Baumschnitt, sondern Pfusch. Aah! Guete Tag, Herr Studer! Freut mich! Freut mich, Sie wieder zu sehen. Natürlich sind Sie wegen dem Mord gekommen! Aber ich hoffe, daß es Ihnen nicht einfällt, einen unserer Schüler zu verdächtigen… oder?«
    Studer schüttelte das Händlein, murmelte

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