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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Armenhäusler, in blauen, verwaschenen Überkleidern, tanzten schwerfällig und langsam wie Bären über den Hof. Jeder hielt einen Besen, dessen Reisig den Staub zusammentrieb – doch plötzlich kam ein Windstoß und verwehte das Häuflein. Dann kratzten die Besen wieder über die gestampfte Erde…
    Ob 's Trili-Müetti immer so streng habe schaffen müssen? fragte der Wachtmeister. – Wie die Frau Hungerlott noch dagewesen sei, habe das Müetti wohl weniger Arbeit gehabt?
    – Die? Die ins Wasser gelangt? Mit ihren bemalten Fingernägeln? Nie habe die Hausmutter ihre Hände in Seifenlauge getaucht. Gäng habe 's Trili-Müetti wäsche müesse… »Gell Hansli?«
    Der Güggel streckte seinen Hals, so, als müsse er seinen Kopf aus einem allzu hohen Stehkragen schrauben – exakt, wie der Notar Münch, dachte Studer –, dann legte er seinen purpurnen Kamm auf die Seite und blinzelte. »Go–ogg!« meinte er, was in seiner Sprache sicher die Behauptung des Weibleins bestätigen sollte.
    Dann rannte der Hahn durch den Hof, machte vor einem Staubhaufen halt, scharrte, pickte. Die drei Armenhäusler sahen ihm zu, gestützt auf die Stiele ihrer Reisbesen. Dann suchten sie in ihren Taschen und warfen dem Vogel Brotkrumen zu…
    »Hansli!« rief die Wäscherin. Der Hahn trottete näher, versuchte zu krähen, schüttelte sich – und begann an den Leintüchern zu picken, die auf dem Boden lagen.
    's Trili-Müetti sang:
    »In Muetters Stübeli da goht dr hmhmhm,
In Muetters Stübeli da goht dr Wind.
Mueß fast verfrüüre vor lutter hmhmhm,
Mueß fast verfrüüre vor lutter Wind.
Du nimmscht de Bettelsack und i de hmhmhm,
Du nimmscht de Bettelsack und i de Chorb…«
    Während Studer darüber nachdachte, warum die alte Frau ein Appenzellerlied sang, statt eines bärndeutschen, fühlte er plötzlich, wie das Päckli, das unter seinem Ellbogen eingeklemmt war, auf den Boden fiel. Es ging auf, der Schlafanzug, der mit Blut getränkt war, wurde von der Sonne beschienen, die zwischen zwei Wolken auftauchte. Zuerst war der Güggel zurückgeflattert, nun kam er näher, grub seine Krallen in den dünnen Stoff und pickte, pickte – genau wie er vor kurzem an der schmutzigen Bettwäsche gepickt hatte…
    »Gang awääg… Ksch… Woscht!…« Der Wachtmeister klatschte in die Hände, aber der Hahn blieb hocken und stieß nur einen verfehlten Kräh aus.
    Das sei ein zahmer Güggel! meinte Studer erstaunt.
    »Ja, gell, Hansli! Mir zweu verstandet üs!« Das alte Weiblein nahm Wäsche aus dem Bottich, wrang sie aus und warf sie neben sich aufs Pflaster. Studer bückte sich, um sein Eigentum aufzuheben – aber der Vogel war ganz aufgeregt. Er sprang in die Höhe, sein Schnabel zerriß das Papier. Dann ließ er ab und beschäftigte sich wieder mit Staub.
    Endlich konnte Studer das braune Packpapier wieder um den Schlafanzug wickeln. Nun meinte er, 's Müetti könne für sein Alter gut singen. Und wie das denn gewesen sei mit der Krankheit der Hausmutter?
    Das Weiblein schlug mit der flachen Hand in das schaumige Wasser, ein Spritzer erreichte des Wachtmeisters magere Nase.
    – Gar gruusam habe sie leiden müssen, die Hausmutter, sagte die alte Frau und schnupfte. Dann rieb sie sich die Augen mit dem feuchten Handrücken.
    – Gruusam? Wie das denn gewesen sei mit dieser Krankheit?
    Nun hielt das Weiblein seine Rechte vor den Mund: – Es wäre eben nicht alles richtig gewesen. Aber das Beste sei wohl, man hocke ufs Muul…
    – Was es denn Geheimnisvolles gegeben habe? Und warum man es nicht erzählen dürfe?
    Das Weiblein legte den Zeigefinger auf ihre eingefallenen Lippen.
    – Am besten sei immer der dran, meinte es, der nicht zuviel schwätze.
    – Schön, nickte der Wachtmeister. Aber zu ihm könne sie doch Vertrauen haben. 's Trili-Müetti könne sicher sein, daß er nichts weiter plappere. Denn ein Fahnder habe das Schweigen gelernt…
    Doch diese Versicherung schien der alten Frau keinen Eindruck zu machen, sie summte ihr Liedlein:
    »Du nimmscht de Bettelsack und i de hmhmhm,
Du nimmscht de Bettelsack und i de Chorb…«
    Kaum hatte sie ihr Verslein zu Ende gesungen, geschah etwas Merkwürdiges. Das Hähnlein, das in der schmutzigen Wäsche herumgepickt und mit seinem spitzen Schnabel Studers Fund bearbeite hatte, fiel um. Von unten her schob sich sein Lid übers Auge, schwach krächzte der Hansli, streckte die Krallen – und dann war er tot.
    Nun brach die Alte in Wehklagen aus:
    »Hansli, mis Hansli! Was isch dir

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