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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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ging, wenn man das Ende des Fadens in der Hand hielt. Aber es lohnte sich nicht, wegen eines fehlenden Betäubungsmittels große Geschichten zu machen. Denn in der Wohnung des ehemaligen Maurers herrschte so viel Unordnung, daß die Frau das Mittel ganz gut verlegt haben konnte. Er warf rasch einen Blick in die offene Schublade, sah viele Schächteli, gläserne Tuben, Fläschli: Herzmittel und Schlafmittel und Stärkungsmittel. Die größte Flasche nahm er in die Hand. Sie war leer. Er sah auf die Etiketten – ›Gift‹ stand auf der einen; darüber eine andere: ein Totenkopf mit zwei Knochen. Endlich auf der größten: ›Fowlersche Lösung‹. Schon wieder ein Arsenpräparat!
    »Wer hat die Flasche geleert?« fragte Studer.
    »Ich«, sagte die Frau. Ihre Finger wühlten wieder in den kurzgeschnittenen, weißen Haaren.
    Als Studer den Absatz des ersten Stockes erreichte, blieb er kurz vor Frau Wottlis Wohnung stehen. Er horchte. Eine Klingel schrillte drinnen, ein Knacken war zu hören, als der Hörer des Telephons abgenommen wurde…
    »Ah… ja… Grüeß di Paul… Ja, er hat mich besucht. Heut nachmittag… Er ist schon lange fort, wird bald dort sein… Nein, nein… Nein! Ich war nicht oben bei der Äbi. Soll ich gehen?… Meine Zimmertür ist offen, ich will sie schließen gehen… Jaja! Ich geh schon.« Und Studer vernahm Schritte, die näher kamen – er wartete ruhig. Drinnen fiel eine Türe zu.
    Und Studer verließ das kleine Haus.

Jaßpartie mit einem neuen Partner
    Der Nebel war dicht. Eine Lampe brannte über der Türe, die in die Wirtschaft führte; ein wenig Licht fiel auf die Treppe, welche den Absatz mit der Straße verband. Und am Fuße dieser steinernen Leiter stand ein wartender Mann.
    Sobald Studer den Motor abgestellt hatte, hörte er seinen Namen rufen. »Ja?« brummte er.
    »Paul Wottli, Lehrer an der Gartenbauschule Pfründisberg.«
    Studer zog den Wollhandschuh ab. Dann ärgerte er sich, denn der Mann, der sich vorgestellt hatte, schüttelte ihm nicht etwa die Hand, sondern reichte ihm nur drei Finger; den Ellbogen hielt er an den Körper gepreßt.
    »Ich habe den ganzen Nachmittag auf Sie gewartet, Herr Studer«, sagte der Lehrer. »Den ganzen Nachmittag! Wie kommt es, daß Sie eine Untersuchung einfach fallen lassen, um nach Bern zu fahren? Ich dachte, die Aufklärung eines Mordes sei eine ernste Sache. Denn ich bin belesen, auch in diesen Dingen.«
    Obwohl Studer an diesem Novemberabend bitter gefroren hatte – trotz seiner warmen Unterhosen und seines wollenen Pullovers –, obwohl er sich nach einem warmen z'Nacht sehnte und nicht gerade guter Laune war, mußte er doch über die Rede lachen.
    »Und welche interessanten Werke haben Sie zu einem Sachverständigen in Kriminalistik gemacht, Herr Lehrer?«
    »Nun, ich kenne Groß, ich habe Locard auf französisch gelesen, ich bin aufs Kriminalarchiv abonniert und…«
    »Das genügt, das genügt vollständig. Dann werden Sie auch verstehen, daß ich notwendigerweise in die Stadt mußte, um einige Erkundigungen einzuziehen.«
    »Erkundigungen! Erkundigungen! Die nützen gar nichts, Herr Studer, wenn man nicht zuerst die schon gefundenen Prämissen logisch auswertet. Verstehen Sie? Ich finde es durchaus fehlerhaft, einen meiner Schüler unter die Aufsicht eines belasteten Armenhäuslers zu stellen und dann diese beiden in ein Krankenzimmer einzusperren. Deshalb habe ich mir erlaubt, den Ernst Äbi zu befreien, da ich ihn für eine wichtige Arbeit heute abend brauchte. Es war nötig, heute abend das Gewächshaus mit Blausäuregas zu füllen, um das Ungeziefer zu töten, das sich an meinen Orchideen und an meinen Palmenblättern gütlich tut. Darum habe ich meinen Schüler um halb sechs geholt – gerne hätte ich Sie zuerst um Erlaubnis gebeten, aber es pressierte, und darum handelte ich eigenmächtig. Nur schien es notwendig, Sie von diesem meinem Entschluß in Kenntnis zu setzen, um irgendeinen falschen Verdacht, der in Ihnen aufsteigen könnte, von vornherein aus dem Wege zu räumen. Verstehen Sie?«
    Studer nickte, nickte… Merkwürdig, wie alles stimmte. Prämissen… Produkt… Der falsche Gebrauch von Fremdwörtern.
    »Ich möchte gern zu Abend essen, Herr Lehrer«, sagte Studer und bediente sich ebenfalls des Hochdeutschen. »Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen? Bitte…«
    Die beiden stiegen die Treppe hinauf. Unter der Türe empfing sie der Wirt und fragte, was der Wachtmeister essen wolle. Dann öffnete er die Türe in den

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