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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Privatraum, in welchem das mit Aluminiumfarbe bestrichene Öfeli stand – es war geheizt und strömte wohlige Wärme aus. Hulda Nüesch brachte einen Grog, später das z'Nacht und für Herrn Wottli eine schwarze Brühe in einem hohen Glas.
    Der Wachtmeister aß gemütlich und versuchte, trotz dem Geschwätz des Gartenbaulehrers, auf kurze Zeit den ganzen Fall zu vergessen. Vier Männer betraten die Stube, grüßten und setzten sich an einen Tisch nahe beim Fenster; Direktor Sack-Amherd, Hausvater Hungerlott, der Bauer Schranz und ein Unbekannter, dessen lange Nase wie verzeichnet aussah und rot glänzte.
    »Guten Abend, Herr Äbi…« Der Lehrer stand auf, bot dem Rotnasigen zwei Finger und setzte sich dann wieder dem Wachtmeister gegenüber.
    »Das ist der Vater meines Schülers«, flüsterte er, doch so laut, daß alle Anwesenden die Worte verstehen konnten. Studer brummte.
    Dies also war der Mann, der sich auf seiner Visitenkarte ›Maurermeister‹ nannte, seine Frau verprügelte und allzuviel trank. Wie war es dem Manne gelungen, so schnell nach Pfründisberg zu kommen? Um viertel nach fünf hatte er die Tür in der Aarbergergasse ins Schloß geworfen – und jetzt war er schon da. Wann hatte er Pfründisberg erreicht?
    Es war der Hausvater Hungerlott, der die Erklärung gab. Während er ein Kartenspiel aufnahm und es zu mischen begann, erzählte er und deutete mit gerecktem Zeigefinger auf den Mann, der links neben ihm saß: Heute nachmittag sei er in die Stadt gefahren – Kommissionen, Bestellungen habe er machen müssen, da er am Samstag Besuch erwarte – Kornmissionen für eine Kommission, hehehe, denn eine solche werde auf das Wochenende erwartet. Abgesandte der Sanitätsdirektion, Großräte, außerdem zwei Assistenzärzte von irgendeiner Pflegeanstalt kämen nach Pfründisberg, um sich über die Bekämpfung des ›Pauperismus‹ zu orientieren… Ja!… Darum sei er heute mit dem Auto nach Bern gefahren – und wen habe er um dreiviertelsechs vor dem Bahnhof getroffen? Den Maurermeister Äbi! Früher, ja früher, sei ein paarmal die Rede davon gewesen, den Äbi in Pfründisberg einzuquartieren – hehehe! Aber als der Hausvater ein Schwiegersohn besagten Äbis geworden sei, habe kein Mensch mehr daran gedacht die Armenanstalt um einen Insassen zu bereichern… Hungerlott schielte zum Wachtmeister hinüber, Sack-Amherd krempelte die Ärmel seines violett gestreiften Hemdes auf und warf dann einen Blick in das Kartenbündel, das vor ihm lag. Vater Äbi grochste, der Kartenfächer zitterte in seiner Hand – endlich krächzte er – denn seine Stimme war heiser – und hob den Kopf: »G'schobe!« Und der Bauer Schranz antwortete: »Schufle!«
    Zwischen den beiden Fenstern, durch deren Scheiben die Holzläden grün schimmerten, hing eine Uhr. Sie schlug dreimal, und es klang, als sei die Glocke zersprungen. Studer blickte zu ihr empor: dreiviertel neun. Die Spieler jaßten weiter – Hungerlott und Sack-Amherd rasch und sicher, Äbi und der Bauer Schranz langsam und zögernd.
    Bisweilen brach ein kleiner Streit los, weil sich der Maurermeister zu lange besann. Studer fragte sein Gegenüber:
    »Um sechs Uhr haben Sie die Räucherung begonnen, nicht wahr? Und wann waren Sie fertig?«
    »Ist das wichtig? Oder wollen Sie mich nur auf die Probe stellen? Wenn dies Ihre Absicht ist, so kann ich Ihnen ganz genau antworten: Um viertel nach sechs war alles beendet, ich verschloß hernach die Türe, die vom Gewächshaus in den Gang führt. Viertel nach sechs, achtzehn Uhr fünfzehn – wenn Ihnen dies lieber ist.«
    Studer nickte, nickte. Er sog an seiner Brissago und las zerstreut im Abendblatt, das er in Bern gekauft hatte.
    Der Bauer Schranz stand auf. Er müsse daheim nachschauen gehen, eine Kuh solle diese Nacht kalbern und ob der Wachtmeister ihn nicht vertreten wolle – eine Viertelstunde, länger würde es nicht dauern.
    Studer nickte, setzte sich dem Rotnasigen gegenüber – Hungerlott war am Geben und Äbi mußte sagen, ob er selbst Trumpf machen oder schieben wolle. Es machte ihm Schwierigkeiten einen Entschluß zu fassen. Langsam breitete er die Karten aus, unordentlich standen sie dann zwischen Daumen und gekrümmtem Zeigefinger. Er fluchte, kratzte sich die Stirne, jammerte, behauptete, nicht zu wissen, was er machen solle, bis ihn Studer barsch anfuhr: er möge sich endlich entschließen. Den Wachtmeister traf ein giftiger Blick aus den kleinen Augen – glanzlos waren sie, wie die Augen seiner Frau

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