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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Wintertag mit Böen, die vom Sund heranzogen. Sie war ungeduldig, wollte wieder an die Arbeit.
     
    Sie brauchte nur wenige Minuten im Wartezimmer zu sitzen. Der Arzt fragte sie, wie sie sich fühle, und sie erwiderte, sie rechne damit, wieder gesund zu sein. Nachdem eine Schwester eine Blutprobe genommen hatte, setzte sie sich wieder ins Wartezimmer.
     
    Als sie zum Arzt hineinkam, maß er ihren Blutdruck und kam direkt zur Sache. »Sie fühlen sich wohl. Aber Ihr Blutdruck ist immer noch viel zu hoch. Wir müssen also weiter nach der Ursache suchen. Zunächst schreibe ich Sie noch einmal für zwei Wochen krank. Ich werde Sie an einen Spezialisten überweisen.«
     
    Erst als sie wieder auf der Straße stand und der kalte Wind sie anfiel, wurde ihr richtig klar, was geschehen war. Sie war stark beunruhigt darüber, dass sie ernstlich krank sein sollte, auch wenn ihr Arzt ihr versichert hatte, dass sie noch rechtzeitig handeln konnten.
     
    Mit dem Rücken zum Wind blieb sie auf dem Platz stehen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren fühlte sie sich hilflos. Sie bewegte sich nicht, bis das Handy in ihrer Manteltasche zu klingeln begann.
     
    Es war Karin Wiman, die sich für ihren Besuch bedanken wollte.
     
    »Was machst du gerade?« fragte sie.
     
    »Ich stehe auf einem Platz«, sagte Birgitta Roslin. »Und ich habe gerade nicht die geringste Ahnung, was ich mache.« Dann erzählte sie von ihrem Besuch beim Arzt. Es war ein verfrorenes Gespräch. Sie verabredeten, noch einmal zu telefonieren, bevor Karin nach China reiste.
     
    Als sie durchs Gartentor trat, setzte Schneefall ein. Der Wind hatte aufgefrischt. Aber er war immer noch böig.
     
    Am gleichen Tag ging sie zum Amtsgericht und sprach mit Hans Mattsson. Er war niedergeschlagen und beunruhigt, als sie ihm mitteilte, dass sie weiterhin krankgeschrieben war. Er sah sie nachdenklich über den Brillenrand an. »Das hört sich nicht gut an. Ich mache mir Sorgen um dich.« 
    »Meinem Arzt zufolge ist das nicht nötig. Meine Blutwerte sind nicht, wie sie sein sollten, und mein Blutdruck muss gesenkt werden. Jetzt hat er mich an einen Spezialisten überwiesen. Aber ich fühle mich nicht krank, nur ein wenig müde.«
     
    »Müde sind wir alle«, sagte Hans Mattsson. »Ich bin seit fast dreißig Jahren müde. Mein größter Luxus heutzutage ist, wenn ich morgens ausschlafen kann.«
     
    »Vierzehn Tag bleibe ich weg. Hoffen wir, dass diese Geschichte sich dann erledigt hat.«
     
    »Du sollst natürlich so viel frei bekommen, wie du brauchst. Ich werde mit der Behörde reden und sehen, ob sie uns helfen können. Wie du weißt, bist du nicht die Einzige, die fehlt. Klas Hansson führt bei der EU in Brüssel eine Untersuchung durch. Ich glaube kaum, dass er wieder zurückkommt. Ich habe schon immer den Verdacht gehabt, dass ihn ganz andere Dinge locken als der Vorsitz in einem Gerichtssaal.« 
    »Tut mir leid, dass ich euch auch im Stich lasse.« »Du lässt uns nicht im Stich. Dein Blutdruck tut es. Erhol dich jetzt. Züchte Rosen und komm zurück, wenn du wieder gesund bist.«
     
    Sie sah ihn verblüfft an. »Ich züchte keine Rosen. Ich habe überhaupt keinen grünen Daumen.«
     
    »Meine Großmutter hat das immer gesagt. Wenn man weniger arbeiten sollte, müsste man sich darauf konzentrieren, seine imaginären Rosen zu züchten. Ich finde das so schön. Meine Großmutter ist 1879 geboren, im gleichen Jahr, in dem Strindberg ›Das rote Zimmer‹ veröffentlichte. Ein eigentümlicher Gedanke. Die einzige Arbeit, die sie in ihrem Leben ausführte - außer Kinder zu kriegen -, war Strümpfe stopfen.«
     
    »Dann tu ich das«, sagte Birgitta Roslin. »Ich gehe nach Hause und züchte meine Rosen.«
     
    Am nächsten Tag schickte sie die Tagebücher und ihre Aufzeichnungen nach Hudiksvall. Als sie das Paket aufgegeben und die Quittung entgegengenommen hatte, war ihr, als hätte sie die Ereignisse in Hesjövallen weggeschlossen. Am äußersten Rand des großen und furchtbaren Geschehens war ihre Mutter mit ihren Adoptiveltern aufgetaucht. Aber jetzt war es vorbei. Sie verspürte eine Erleichterung und stürzte sich auf die Vorbereitungen für Staffans Geburtstag. So war fast die gesamte Familie bereit, zusammen mit einigen Freunden, als Staffan Roslin durch die Tür trat. Er hatte den Nachmittagszug von Alvesta nach Malmö begleitet und war anschließend außer Dienst nach Helsingborg zurückgefahren. Sprachlos stand er in seiner Uniform und mit einer verschlissenen

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