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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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kannte. Aber es gab auch abstrakte Gemälde, die Krieg und Chaos in starken Farben schilderten.
     
    Überall war sie von Wachen und Führern umgeben, zumeist junge Frauen in blauen Uniformen. Sie versuchte, einige von ihnen anzusprechen, doch sie verstanden kein Englisch. Sie verbrachte mehrere Stunden im Museum. Als sie wieder auf die Straße kam, war es fast drei Uhr. Sie warf einen Blick zum Krankenhaus und zu dem dahinter liegenden hohen Gebäude mit der vorspringenden Terrasse. Gleich neben dem Museum ging sie in ein einfaches Restaurant. Sie bekam einen Ecktisch, nachdem sie auf ein paar Teller mit Essen gezeigt hatte, die auf den Tischen anderer Gäste standen. Sie zeigte auch auf eine Bierflasche, und als sie zu trinken begann, merkte sie, wie durstig sie war. Sie aß viel zu viel und trank zwei Tassen starken Tee, um die von der Sättigung ausgehende Müdigkeit zu vertreiben. Im Kunstmuseum hatte sie eine Reihe von Karten mit chinesischer Malerei gekauft, die sie jetzt durchblätterte.
     
    Plötzlich war ihr, als wäre sie fertig mit Peking, obwohl sie erst zwei Tage hier war. Sie fühlte sich rastlos, vermisste ihre Arbeit und dachte, dass die Zeit ihr einfach durch die Hände rann. Ihr fehlte ein Ziel, jetzt, da sie die Spiele und Gewürze gekauft hatte. Ein Plan, dachte sie. Zuerst ins Hotel, ausruhen, und dann ein ordentlicher Plan. Ich werde noch fünf Tage hier sein. Erst an den beiden letzten Tagen hat Karin Zeit für mich.
     
    Als sie auf die Straße trat, war die Sonne wieder hinter den Wolken verschwunden. Es kam ihr sogleich kälter vor. Sie zog die Jacke fester um den Körper und atmete durchs Halstuch.
     
    Ein Mann kam mit einem Stück Papier und einer Schere in der Hand auf sie zu. In gebrochenem Englisch bat er sie, ihre Silhouette schneiden zu dürfen. In einer Mappe mit Plastikhüllen hatte er andere Scherenschnitte, die er gemacht hatte. Ihr erster Impuls war abzulehnen, doch sie änderte ihre Meinung. Sie nahm die Mütze ab, zog das Halstuch vom Gesicht und stellte sich ins Profil.
     
    Der Scherenschnitt war verblüffend gut. Als er sie um fünf Dollar bat, gab sie ihm zehn.
     
    Der Mann war alt und hatte eine Narbe auf der Wange. Sie bedauerte, seine Geschichte nicht hören zu können, und steckte den Scherenschnitt in die Tasche. Sie verneigten sich voreinander und gingen jeder in seine Richtung davon. Der Überfall kam, ohne dass sie überhaupt begriff, was geschah. Sie fühlte einen Arm, der um ihren Hals gelegt wurde und sie nach hinten bog, während gleichzeitig jemand ihr die Handtasche entriss. Als sie aufschrie und sie festzuhalten versuchte, wurde der Druck um ihren Hals stärker. Sie bekam einen Schlag in den Bauch, so dass sie kurzzeitig nach Atem rang. Sie sank auf der Straße zusammen, ohne erkannt zu haben, wer sie überfallen hatte. Das Ganze war sehr schnell gegangen, hatte kaum mehr als zehn, fünfzehn Sekunden gedauert. Ein Mann, der mit seinem Fahrrad anhielt, und eine Frau, die ihre Einkaufstüten abstellte, halfen ihr vom Bürgersteig auf. Aber Birgitta Roslin konnte sich nicht auf den Beinen halten. Sie sank wieder zu Boden und verlor das Bewusstsein.
     
    Als sie wieder zu sich kam, lag sie auf einer Trage in einem Krankenwagen mit heulender Sirene. Ein Arzt drückte ihr ein Stethoskop auf die Brust. Sie war immer noch nicht sicher, was passiert war. Dass ihre Handtasche weg war, daran erinnerte sie sich. Aber warum fuhr sie in einem Krankenwagen? Sie versuchte, den Arzt mit dem Stethoskop zu fragen. Aber er antwortete nur etwas auf Chinesisch, und sie deutete seine Gesten so, dass sie still sein und sich nicht bewegen sollte.
     
    Ihr Hals schmerzte von dem Arm, der gegen ihre Kehle gedrückt worden war. Vielleicht war sie ernstlich verletzt? Der Gedanke machte ihr Angst. Sie hätte dort auf der Straße getötet werden können. Die Täter hatten nicht gezögert, obwohl es mitten am Tag gewesen und obwohl die Straße stark befahren war und viele Menschen unterwegs waren. Sie begann zu weinen. Als Reaktion darauf nahm der Arzt sogleich ihren Puls. Im gleichen Moment hielt der Krankenwagen abrupt an, und die Türen wurden aufgerissen. Sie wurde auf eine andere Trage gelegt und durch einen Korridor gerollt, in dem starke Lampen brannten. Sie weinte jetzt hemmungslos, ohne die Tränen aufhalten zu können. Sie merkte kaum, dass ihr eine Beruhigungsspritze verabreicht wurde. Sie schaukelte dahin wie auf einer Dünung, umgeben von chinesischen Gesichtern, die im

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