Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
sollte? Ich glaube nicht mehr daran, dass es um meine Handtasche ging und dass ein Ausländer zum Opfer eines unglücklichen Zwischenfalls geworden ist.«
     
    Sie hatte damit gerechnet, dass Hong irgendwie reagieren würde, dass sie das starr geschlossene Visier, hinter dem sie sich stets bedeckt hielt, ein wenig öffnen würde.
     
    Aber auch dieser Strom von Fragen brachte Hong nicht aus der Ruhe. »Was sollte es sonst sein außer dem Überfall?« 
    »Jemand hat mein Zimmer durchsucht.«
     
    »Ist etwas verschwunden?«
     
    »Nein. Aber ich weiß, dass jemand da gewesen ist.« 
    »Wenn Sie es wünschen, lassen wir den Sicherheitschef des Hotels kommen.«
     
    »Ich wünsche, dass Sie auf meine Fragen antworten. Was geht hier vor?«
     
    »Nichts anderes, als dass ich will, dass unsere Gäste sich in unserem Land sicher fühlen.«
     
    »Soll ich Ihnen das wirklich glauben?«
     
    »Ja«, sagte Hong, »ich möchte, dass Sie glauben, was ich sage.«
     
    Etwas in ihrer Stimme nahm Birgitta die Lust auf weitere Fragen. Sie wusste, dass sie sowieso keine Antworten bekommen würde. Und sie würde nie erfahren, ob sie von Hong oder Chan Bing beschattet worden war. Da waren wieder der Eingang und der Ausgang, und sie selbst lief mit verbundenen Augen im Korridor herum.
     
    Hong begleitete sie bis zu ihrer Zimmertür.
     
    Birgitta Roslin fasste ihr Handgelenk. »Kein Eingreifen mehr? Keine Täter mehr? Keine Protokolle? Keine Menschen, die auftauchen, mit Gesichtern, die ich wiedererkenne?«
     
    »Ich hole Sie um zwölf Uhr ab.«
     
    Birgitta Roslin schlief unruhig in dieser Nacht. In aller Frühe war sie wach und nahm im Speisesaal hastig ein Frühstück ein, ohne dass einer der Frühstückskellner oder der Gäste ihr bekannt vorkam. Sie hatte das Schild, dass sie nicht gestört werden wollte, an ihre Zimmertür gehängt und ein wenig Badesalz unmittelbar hinter der Tür auf den Teppich gestreut. Als sie zurückkam, konnte sie sehen, dass niemand in ihrem Zimmer gewesen war.
     
    Wie verabredet wurde sie von Hong abgeholt. Auf dem Flugplatz lotste Hong sie durch eine spezielle Kontrolle, so dass sie nicht in der Schlange stehen musste.
     
    Sie trennten sich bei der Passkontrolle. Hong reichte ihr ein kleines Päckchen. »Ein Geschenk aus China.«
     
    »Von Ihnen oder vom Land?«
     
    »Von uns beiden.«
     
    Birgitta Roslin dachte, dass sie vielleicht doch ungerecht gegenüber Hong gewesen war. Vielleicht hatte sie wirklich nichts anderes gewollt, als ihr zu helfen, den Überfall zu verkraften?
     
    »Fliegen Sie vorsichtig«, sagte Hong. »Vielleicht sehen wir uns einmal wieder.« Birgitta Roslin schritt durch die Passkontrolle. Als sie sich umwandte, war Hong verschwunden. Erst als die Maschine abgehoben hatte, öffnete sie das Päckchen. Es war eine Porzellanminiatur: ein junges Mädchen, das Maos kleines rotes Buch über den Kopf erhoben hatte. Birgitta Roslin legte das Geschenk in ihre Handtasche und schloss die Augen. Die Erleichterung darüber, endlich auf dem Heimweg zu sein, machte sie sehr müde.
     
    Als sie in Kopenhagen ankam, war Staffan da, um sie abzuholen. Am Abend saß sie neben ihm auf dem Sofa und erzählte von ihren Erlebnissen. Aber von dem Überfall erwähnte sie nichts.
     
    Karin Wiman rief an. Birgitta versprach, so bald wie möglich nach Kopenhagen zu kommen.
     
    Am Tag nach der Rückkehr ging sie zu ihrem Arzt. Ihr Blutdruck war jetzt gefallen. Wenn sich zeigte, dass er stabil war, würde sie schon einige Tage später ihren Dienst wieder antreten können.
     
    Es fiel leichter Schnee, als sie auf die Straße trat. Ihre Arbeitslust war groß.
     
    Am nächsten Tag saß sie schon um sieben Uhr in ihrem Büro und sortierte die Papiere, die sich auf ihrem Schreibtisch angesammelt hatten. Auch wenn sie noch nicht offiziell wieder angefangen hatte zu arbeiten.
     
    Der Schneefall wurde immer dichter. Sie sah durchs Fenster, wie die Schneeschicht auf ihrer Fensterbank langsam höher wurde.
     
    Die Porzellanfigur mit dem über den Kopf erhobenen kleinen roten Buch, ein Mädchen mit roten Wangen und siegessicherem Lächeln, stellte sie neben ihr Telefon.
     
    Das Foto von der Überwachungskamera, das sie in der Innentasche des Mantels getragen hatte, legte sie zuunterst in eine Schublade.
     
    Als sie die Schublade schloss, hatte sie das Gefühl, dass endlich alles vorbei war.

     
    Gespräch mit afrikanischen Freunden am 8. August 1963
    Fünfzig Kilometer westlich von Peking, nicht weit

Weitere Kostenlose Bücher