Der Chinese
gesetzt hatte. »Was ist passiert?« Eine Bedienung nahm Hos Bestellung auf, bevor Birgitta Roslin antwortete. Sie berichtete detailliert von dem Chinesen, der im Hotel in Hudiksvall aufgetaucht war, dass es der Mann war, von dem sie zuvor erzählt hatte, und dass der Hotelbesitzer getötet worden war.
»Ist das sicher?«
»Ich komme nicht nach London, um etwas zu erzählen, wofür ich nicht einstehen kann. Ich komme, weil das, was ich erzähle, geschehen ist. Und weil ich Angst habe.
Dieser Mann hat nach mir gefragt. Er hat meine Adresse erfahren. Jetzt bin ich hier. Ich tue das, was Ma Li oder eigentlich Hong mir durch Sie gesagt hat. Ich habe Angst, aber ich bin auch wütend, weil ich ahne, dass weder Sie noch Hong die Wahrheit gesagt haben.«
»Warum sollte ich lügen? Sie machen eine lange Reise nach London. Vergessen Sie nicht, dass meine Reise ebenso lang war.«
»Ich erfahre nicht alles, was passiert. Ich bekomme keine Erklärungen, obwohl ich davon überzeugt bin, dass es welche gibt.«
Ho saß reglos da. Der Gedanke an ihren allzu grellen Regenmantel kreiste in Birgitta Roslins Kopf.
»Sie haben recht«, sagte Ho. »Aber Sie vergessen die Möglichkeit, dass weder Hong noch Ma Li mehr wissen, als sie sagen.«
»Ich habe das nicht ganz klar gesehen, als Sie mich besucht haben«, sagte Birgitta Roslin. »Aber ich tue es jetzt. Hong war in Sorge, dass jemand mich töten würde. Das sagte sie Ma Li. Und die Botschaft ging weiter an Sie. Drei Frauen nacheinander, um eine vierte vor einer großen Gefahr zu warnen. Doch nicht irgendeiner Gefahr. Dem Tod. Nichts anderem. Ohne zu wissen, was ich tat, habe ich mich in eine Gefahr gebracht, deren Ausmaß ich erst jetzt ahne. Habe ich nicht recht?«
»Deshalb bin ich gekommen.«
Birgitta Roslin beugte sich über den Tisch vor und ergriff Hos Hand. »Dann helfen Sie mir zu verstehen. Antworten Sie auf meine Fragen.«
»Wenn ich kann.«
»Sie können. Sie hatten nicht jemanden bei sich, als Sie in Helsingborg waren? Ist es vielleicht so, dass jemand Sie und mich auch jetzt beobachtet? Sie können jemanden angerufen haben, bevor Sie herkamen.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Das ist keine Antwort, sondern eine neue Frage. Ich möchte Antworten.« »Ich hatte niemanden bei mir, als ich in Helsingborg war.«
»Warum saßen Sie einen ganzen Tag in meinem Gerichtssaal? Sie konnten ja kein Wort verstehen von dem, was gesagt wurde.«
»Nein.«
Birgitta Roslin wechselte plötzlich ins Schwedische. Ho legte die Stirn in Falten und schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht.« »Ist das sicher? Es ist nicht so, dass Sie meine Sprache in Wirklichkeit sehr wohl verstehen?« »Wenn ich das täte, hätte ich mit Ihnen wohl Schwedisch gesprochen.«
»Sie müssen einsehen, dass ich unsicher bin. Vielleicht haben Sie einen Vorteil davon, nicht zu erkennen zu geben, dass Sie meine Sprache verstehen. Ich frage mich sogar, ob Sie einen gelben Regenmantel tragen, damit Sie für jemanden leichter zu sehen sind.«
»Warum?«
»Ich weiß es nicht. Im Moment weiß ich gar nichts. Das Wichtigste ist natürlich, dass Hong mich warnen wollte. Aber warum sollte ich bei Ihnen Hilfe suchen? Und was können Sie tun?«
»Lassen Sie mich mit dem Letzten anfangen«, sagte Ho. »Chinatown ist eine Welt für sich. Auch wenn Sie und Tausende anderer, Engländer und Touristen, durch unsere Straßen wandern, Gerrard Street, Lisle Street, Wardour Street, durch die anderen Straßen und Gassen, so erlauben wir Ihnen doch nur den Zugang zur Oberfläche. Hinter Ihrem Chinatown findet sich mein Chinatown. Da kann man sich verstecken, kann die Identität wechseln, kann Monate und Jahre überleben, ohne dass jemand weiß, wer man ist. Auch wenn die meisten Chinesen, die hier leben, die englische Staatsbürgerschaft haben, ist das eigentliche Grundgefühl doch das, dass wir uns in unserer eigenen Welt befinden. Ich kann Ihnen helfen, indem ich Sie in mein Chinatown einlasse, zu dem Sie sonst nie Zugang bekommen würden.«
»Wovor soll ich denn Angst haben?«
»Ma Li hat sich nicht klar ausgedrückt, als sie mir schrieb. Außerdem dürfen Sie nicht vergessen, dass Ma Li selbst auch Angst hatte. Sie hat es nicht geschrieben, aber ich habe es gespürt.«
»Alle haben Angst. Haben Sie Angst?«
»Noch nicht. Aber es kann schnell kommen.«
Hos Handy klingelte. Ho blickte auf das Display und stand
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