Der Chinese
Cafe gegenüber und bestellte einen Tee. Was wusste sie eigentlich über Ho? Und was wusste sie über Hong? Einmal war Hong aus dem Nichts vor ihr am Restauranttisch aufgetaucht. Wer hatte sie geschickt? War es Hong gewesen, die eine ihrer Wachen hinter Karin Wiman und ihr hergeschickt hatte, als sie die Mauer besuchten? Nur eins war sicher: Sowohl Hong als auch Ho waren genau darüber unterrichtet, wer sie war. Und dies alles wegen eines Fotos. Der Handtaschenraub erschien nicht mehr als ein für sich stehender Zwischenfall, sondern als etwas, was in das Geschehen verwoben war. Als sie Klarheit zu erlangen suchte, war es, als verirrte sie sich immer tiefer in ein Labyrinth. Hatte sie recht gehabt? Dass Hong ihr über den Weg gelaufen war, um sie vom Hotel fortzulocken? Vielleicht stimmte es nicht einmal, dass Hong bei einem Unglück in Afrika umgekommen war? Was sprach eigentlich dagegen, dass Hong und der Mann, der sich Wang Minhao nannte, auf die eine oder andere Weise gemeinsam in den Massenmord von Hesjövallen verwickelt waren? War Ho aus dem gleichen Grund nach Helsingborg gekommen? Die freundlichen Schutzengel waren vielleicht gefallene Engel, die sie weggelockt hatten von ihren Möglichkeiten, sich zu schützen.
Birgitta Roslin versuchte sich zu erinnern, was sie Hong bei ihren verschiedenen Gesprächen erzählt hatte. Viel zu 5 59 viel, erkannte sie jetzt. Es verwunderte sie, dass sie nicht vorsichtiger reagiert hatte. Hong war diejenige, die das Ganze aufgezogen hatte. Eine unschuldige Bemerkung darüber, dass der Massenmord in Schweden in den chinesischen Medien eine Nachricht gewesen war? War das wirklich denkbar? Oder hatte Hong sie nur aufs Eis gelockt, um sie zu Fall zu bringen, und hatte ihr dann, als sie glaubte, genug erfahren zu haben, wieder an Land geholfen? Und warum hatte Ho einen ganzen Tag in ihrem Gerichtssaal gesessen? Sie verstand kein Schwedisch. Oder vielleicht doch? Und dann hatte sie es plötzlich eilig, nach London zurückzukehren. Was, wenn Ho nur dort gesessen hatte, um zu kontrollieren, dass sie den Gerichtssaal nicht verließ? Vielleicht hatte Ho jemanden bei sich gehabt, der viele Stunden in ihrem Haus verbrachte, während sie im Gerichtssaal saß?
Ich müsste jemanden haben, mit dem ich sprechen könnte, dachte sie. Nicht Karin Wiman, die nichts verstehen würde. Staffan oder meine Kinder. Aber die kreuzen irgendwo auf dem Meer herum und sind nicht erreichbar.
Birgitta Roslin wollte gerade das Cafe verlassen, als die Tür auf der anderen Straßenseite geöffnet wurde. Ho kam heraus und ging hinunter zum Leicester Square. Sie war wachsam, meinte Birgitta Roslin zu bemerken. Deshalb zögerte sie, bevor sie auf die Straße trat, um Ho zu folgen. Am Leicester Square durchquerte Ho den kleinen Park und bog von dort zum Strand ab. Birgitta Roslin war die ganze Zeit darauf gefasst, dass Ho sich umdrehte, um zu sehen, ob ihr jemand folgte. Das tat sie auch, kurz bevor sie Zimbabwe House erreichte. Birgitta Roslin konnte noch den Schirm senken und ihr Gesicht verdecken. Dann hätte sie Ho fast aus den Augen verloren, bevor sie sie in ihrem gelben Regenmantel wieder entdeckte. Ein paar Blöcke vor dem Eingang zum Savoy Hotel drückte Ho die schwere Tür eines Bürohauses auf. Birgitta Roslin wartete einige Minuten und trat dann an die Tür, wo sie auf dem blanken Messingschild las, dass hier die Englisch-Chinesische Handelskammer lag.
Sie ging den Weg zurück, den sie gekommen war, und fand ein Cafe in der Regent Street gleich beim Piccadilly Circus. Dort wählte sie eine der Nummern, die auf Hos Visitenkarte standen. Ein Anrufbeantworter bat sie, eine Mitteilung zu hinterlassen.
Sie beendete das Gespräch, legte sich das, was sie sagen wollte, auf Englisch zurecht und drückte die Nummer erneut. »Ich habe getan, was Sie mir gesagt haben. Ich bin nach London gekommen, weil ich glaube, verfolgt zu werden. Im Moment sitze ich im Cafe Simons, neben Rawsons Modehaus in der Regent Street, bei Piccadilly. Es ist jetzt zehn Uhr. Ich bleibe eine Stunde hier. Wenn ich nichts von Ihnen höre, rufe ich später am Tag wieder an.«
Ho kam vierzig Minuten später. Ihr grellgelber Regenmantel leuchtete in der Menge dunkler Regenbekleidung, Birgitta Roslin bekam das Gefühl, dass auch das etwas zu bedeuten hatte.
Birgitta Roslin konnte sehen, dass Ho unruhig war, als sie eintrat.
Sie fing sofort an zu sprechen, noch bevor sie einen Stuhl herangezogen und sich
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