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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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und dann noch ein zweites Mal, als sie in Ölsund an eine Kreuzung kam. Ein Polizeiwagen kam ihr entgegen, kurz darauf noch einer. Plötzlich öffnete sich der Wald an einem See. Rechts und links der Straße lagen Häuser, alle von rotweißen Absperrbändern umgeben. Auf der Straße gingen Polizisten.
     
    Am Waldrand sah sie ein Zelt, auf einem nahe gelegenen Hof ein zweites. Sie hatte ein Fernglas mitgebracht. Was verbarg sich in den Zelten? Davon hatte sie in den Zeitungen nichts gelesen. Waren einer oder mehrere Tote dort gefunden worden? Oder hatte die Polizei dort Spuren gesichert? Sie ließ das Fernglas über das Dorf gleiten. Menschen in Overalls oder Uniformen bewegten sich zwischen den Häusern, standen an den Gartentoren und rauchten, allein oder in Gruppen. Manchmal kam es vor, dass sie die Schauplätze von Verbrechen besuchte und während einiger Stunden die Arbeit der Polizei verfolgte. Sie wusste, dass Staatsanwälte und andere Rechtsdiener dort nicht besonders gern gesehen waren. Die Polizei war ständig auf der Hut, um nicht Kritik auf sich zu ziehen. Aber Birgitta Roslin hatte gelernt, den Unterschied zwischen einer methodischen und einer nachlässigen Ermittlung zu erkennen. Was sie hier sah, machte auf sie den Eindruck einer ruhigen und damit wahrscheinlich auch gut organisierten Arbeit.
     
    Gleichzeitig war ihr bewusst, dass alle im Innersten ständig in Eile waren. Die Zeit war ein Feind. Man wollte so schnell wie möglich die Wahrheit herausfinden, bevor sich etwas wiederholte - was das Schlimmste war.
     
    Ein uniformierter Polizist klopfte an ihre Seitenscheibe und unterbrach ihre Gedanken. »Was tun Sie hier?« 
    »Ich wusste nicht, dass ich hinter die Absperrungen geraten bin.« 
    »Das sind Sie nicht. Aber wir versuchen, ein Auge darauf zu haben, wer sich hier aufhält. Besonders wenn es Menschen mit einem Fernglas sind. Wir halten Pressekonferenzen in der Stadt ab, falls Ihnen das nicht bekannt ist.«
     
    »Ich bin keine Journalistin.«
     
    Der flaumbärtige junge Beamte betrachtete sie misstrauisch. »Was sind Sie denn? Gafferin?« »Ich bin praktisch eine Angehörige.« Der Polizist zog einen Notizblock aus der Tasche. »Und von wem?«
     
    »Von Brita und August Andren. Ich bin auf dem Weg nach Hudiksvall, aber ich weiß nicht mehr, mit wem ich dort sprechen sollte.«
     
    »Das ist sicher Erik Hudden. Er ist für den Kontakt mit den Angehörigen zuständig. Und herzliches Beileid.« 
    »Danke.« Der Polizist nahm Haltung an, sie fühlte sich wie eine Idiotin, wendete und fuhr davon. Als sie nach Hudiksvall kam, wurde ihr klar, dass nicht nur der Ansturm von Journalisten es unmöglich machte, ein Zimmer zu bekommen. Ein freundlicher Portier im Grand Hotel erklärte ihr, dass auch noch eine Tagung mit Teilnehmern aus ganz Schweden stattfand, die »Wald diskutierten«. Sie stellte den Wagen ab und ging ziellos in der kleinen Stadt umher. Sie versuchte es in zwei Hotels und einer Pension, aber es war alles belegt. Sie sah sich eine Weile nach einem Lokal mit Mittagstisch um und trat schließlich durch die Tür eines Chinarestaurants. Es waren viele Gäste im Lokal. Sie fand einen kleinen Tisch an einem Fenster. Der Raum sah aus wie alle Chinarestaurants, die sie bisher besucht hatte. Die gleichen Vasen, Porzellanlöwen und Lampen mit roten und blauen Bändern. Man war versucht zu glauben, dass alle, vielleicht Millionen Chinarestaurants in der ganzen Welt derselben Kette angehörten, vielleicht sogar ein und denselben Besitzer hatten. Eine Chinesin kam mit der Speisekarte. Als Birgitta Roslin bestellte, merkte sie, dass die junge Frau so gut wie gar kein Schwedisch sprach.
     
    Nach dem in Eile eingenommenen Mittagessen telefonierte sie herum und bekam schließlich eine positive Antwort. Das Hotel Andbacken in Delsbo hatte ein Zimmer für sie. Auch dort fand eine Tagung statt, in diesem Fall waren die Teilnehmer aus der Werbebranche. Schweden war ein Land geworden, dachte sie, in dem die Menschen einen immer größeren Teil ihrer Zeit damit verbrachten, zwischen Hotels und Tagungszentren hin und her zu fahren und miteinander zu reden. Sie selbst nahm äußerst selten an den Fortbildungen teil, die von den Justizbehörden organisiert wurden. Das Hotel Andbacken war ein großes weißes Gebäude an einem schneebedeckten See. Während sie an der Rezeption wartete, las sie, dass die Reklameleute den Nachmittag in Arbeitsgruppen verbrachten. Am Abend sollte es ein festliches Essen und

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