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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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zurückliegenden Zeitungsartikel im Reno Gazette Journal.
     
    Der Müllwagen war verschwunden. Das Dunkel senkte sich auf den Nachmittag herab.
    Viel später, als alle Ereignisse schon zu verblassen begannen, fragte sie sich zuweilen, was wohl geschehen wäre, wenn sie trotz allem nach Teneriffa geflogen und danach zurückgekehrt und wieder an ihre Arbeit gegangen wäre, mit behobenem Eisenmangel und gesenktem Blutdruck und verschwundener Erschöpfung. Aber jetzt ging es, wie es ging. Am nächsten Morgen rief Birgitta Roslin im Reisebüro an und stornierte ihre Reise.
     
    Staffan kam erst spät am Abend zurück, weil sein Zug einen Lokschaden gehabt hatte und auf freier Strecke liegengeblieben war. Zwei Stunden hatte er genervte Reisende besänftigen und sich außerdem um eine ältere Dame kümmern müssen, die krank geworden war. Als er nach Hause kam, war er müde und gereizt. Sie ließ ihn in Ruhe zu Abend essen, aber dann erzählte sie ihm von ihrer Entdeckung, dass im fernen Nevada etwas geschehen war, was mit großer Wahrscheinlichkeit mit dem Massenmord in Hälsingland zu tun hatte. Sie merkte, dass er skeptisch war, wusste jedoch nicht, ob es an seiner Müdigkeit lag oder daran, dass er an ihrem Bericht zweifelte. Nachdem er ins Bett gegangen war, setzte sie sich wieder an den Computer und wechselte zwischen Hälsingland und Nevada hin und her. Gegen Mitternacht machte sie sich auf einem Block Notizen, genau wie sie es zu tun pflegte, wenn sie ein Urteil formulierte. So absurd es auch zu sein schien, sie konnte es nicht anders deuten, als dass zwischen den beiden Ereignissen ein Zusammenhang bestand. Sie dachte, dass auch sie selbst zur Familie Andren gehörte, auch wenn sie jetzt Roslin hieß.
     
    War sie selbst gefährdet? Lange saß sie, über ihren Notizblock gebeugt, ohne eine Antwort zu finden. Dann trat sie in die klare Januarnacht hinaus und sah zu den Sternen auf. Ihre Mutter hatte ihr einmal erzählt, dass ihr Vater ein leidenschaftlicher Sterngucker gewesen war. Mit großen Abständen hatte ihre Mutter Briefe von ihm erhalten, in denen er beschrieb, wie er nachts an Deck stand und die Sterne und ihre wechselnden Konstellationen studierte. Er hatte die fast religiöse Überzeugung gehabt, dass die Toten sich in Staub verwandelten, der zu neuen Sternen wurde. Diese neuen Sterne waren manchmal so weit entfernt, dass sie für die Augen der Lebenden nicht sichtbar waren. Birgitta Roslin fragte sich, was er gedacht hatte, als die MS Runskär in der Gävlebucht unterging. Das schwer beladene Schiff hatte in dem heftigen Sturm Schlagseite bekommen und war in weniger als einer Minute gesunken. Ein einziger SOS-Ruf war abgesetzt worden, bevor der Funk verstummt war. Hatte er erkannt, dass er im Begriff war zu sterben, oder hatte der Tod ihn im kalten Wasser überrumpelt, so dass er nichts mehr denken konnte? Ein plötzliches Entsetzen, dann Kälte und Tod.
     
    Der Himmel in dieser Nacht war nah, die Sterne leuchteten kräftig. Ich sehe die Oberfläche, dachte sie. Es gibt einen Zusammenhang, dünne Fäden, die sich verbinden. Aber was lag darunter? Welche Motive gab es dafür, neunzehn Menschen in einem kleinen norrländischen Dorf zu töten und außerdem eine Familie in der Wüste von Nevada auszulöschen? Wohl nur die üblichen: Rache, Habgier, Eifersucht. Aber welches Unrecht konnte nach einer so maßlosen Rache verlangen? Wer konnte wirtschaftlich etwas dabei gewinnen, eine Anzahl sehr alter Menschen in einem norrländischen Dorf zu töten? Und wer konnte eifersüchtig auf sie sein? Als sie anfing zu frieren, ging sie zurück ins Haus. Im Normalfall ging sie früh zu Bett, weil sie abends müde war und weil sie es hasste, unausgeschlafen zur Arbeit zu kommen, besonders wenn sie ein Gerichtsverfahren hatte. Jetzt brauchte sie daran nicht zu denken. Sie legte sich aufs Sofa und machte Musik an, leise, um Staffan nicht zu wecken. Es war ein Potpourri moderner schwedischer Balladen. Birgitta Roslin hatte ein Geheimnis, das sie mit niemandem teilte. Sie träumte davon, einmal einen Schlager zu schreiben, der so gut war, dass er die Ausscheidung für das Europäische Schlagerfestival gewann. Manchmal schämte sie sich für diesen Wunsch, aber gleichzeitig stand sie dazu. Vor vielen Jahren hatte sie sich ein Reimlexikon gekauft, und, in ihrer Schublade verschlossen, lag eine Anzahl von Entwürfen. Vielleicht war es unpassend, dass eine aktive Richterin Schlagertexte schrieb. Aber soweit ihr bekannt war, gab

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